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Wikipedia

Verband Hessischer Geschichtslehrerinnen und -lehrer VHGLL
Geschichte für heute lehren und lernen!

Wikipedia im Geschichtsunterricht:

Verstehen statt verbieten, integrieren statt ignorieren

Online-Fortbildung mit Dr. Jan Hodel

Dozent für Geschichte und Geschichtsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW)

im Rahmen des Jahrestagung mit anschließender Mitgliederversammlung

des VHGLL am 27.2.2021

Bericht von der Fortbildungsveranstaltung

Dr. Jan Hodel beschäftigt sich seit langem mit der digitalen Entwicklung in unserem Fach und auch darüber hinaus. So ist er Editorial Board der Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft e.V. (gmw) und Mitglied im Arbeitskreis Digitaler Wandel und Geschichtsdidaktik der Konferenz für Geschichtsdidaktik (dwgd)  Und er ist Autor des Buches Wikipedia im Unterricht, das 2020 bei Wochenschau erschienen ist und an das die Fortbildung anknüpfte.

Herr Hodel hat 2013 mit einer Dissertation zur Internetnutzung von Jugendlichen für das Erstellen von Geschichtsreferaten promoviert.

Damals wie heute wurden schon Google und Wikipedia mehrheitlich von Schüler*innen für Geschichtsreferate verwendet, heute nutzen diese vermehrt YouTube und andere Erklärvideokanäle. Es stellt sich also die Frage: Warum ist es sinnvoll, Wikipedia u.a. im Geschichtsunterricht zu verwenden?

Wikipedia ist nützlich, aber kann man ihr trauen? Fakt ist, dass so gut wie alle Internetnutzer*innen Wikipedia regelmäßig verwenden. Die Vorteile liegen auf der Hand: Wikipedia ist aktuell, schnell, umfassend und zu fast jedem Stichwort ist dort etwas enthalten. Allerdings schwankt die Qualität inhaltlich wie formal. Problematisch ist, dass Schüler*innen die mangelnde bzw. schwankende Qualität nicht ohne Weiteres erkennen. Die Produktionsbedingungen bei Wikipedia sind ebenfalls unklar, da sich jede*r an der Herstellung der Artikel beteiligen kann. Es gibt beispielsweise keine Klarnamenpolitik bei Wikipedia. Richtig ist dennoch, eher die Potenziale zu sehen als nur die Probleme.

Wikipedia ist inzwischen zu einem Standard geworden und sollte Teil der Medienbildung in der Schule sein. Schüler*innen müssen also in den Gebrauch von Wikipedia eingeführt werden und sollen auf dieser Grundlage zu kritischen Internetnutzern erzogen werden. Auch für die Schulrealität 2.0 spielt Wikipedia eine übergeordnete Rolle, da unter Pandemiebedingungen dieses Konvolut besonders häufig konsultiert wird. Der Geschichtsunterricht sollte seinen Beitrag zur Medienerziehung mit Blick auf Wikipedia u.a. leisten.

In seinem Vortrag geht Herr Hodel im Weiteren auf die Geschichte und  Methodik Wikipedias ein, auf die anfangs stark verbreitete Kritik und  den Transformationsprozess zur Qualitätssicherung. Diesen  Entwicklungsprozess kann man auch auf Wikipedia selbst nachverfolgen. Desweiteren werden Beispiele für nach wie vor bestehende Probleme, aber  auch Vorteile von Wikipedia aufgezeigt. Welchen Grad an  Wissenschaftlichkeit haben die Beiträge, wie kann man das überprüfen? In vielen Einträgen hat sich Wikipedia inzwischen quantitativ und  qualitativ so weit entwickelt, dass dies wiederum die Frage der Nutzung durch Schülerinnen und SchÜlern aufwirft (selektives Lesen).

Interessant ist somit, die „Geschichte der Wikipedia“ aufzugreifen, indem man Schüler*innen mitgibt, dass dieses Projekt anfangs nicht ausschließlich optimistisch betrachtet wurde. Man ist eher davon ausgegangen, dass wenig Wert auf die Qualität gelegt werden würde, da zu viele Leute womöglich Schindluder mit diesem Projekt treiben würden. Dies hat auch innerhalb der Wikipedia zu schnellen Transformationsprozessen mit Blick auf eine Qualitätssicherung geführt. Kritikwürdig war insbesondere, dass lange Zeit Fehler unentdeckt geblieben sind. Es ist allerdings kurios, dass nicht alle Fehler ohne Weiteres tatsächlich verbessert werden, auch wenn sie entdeckt und korrigiert werden.

Interessanterweise gibt es mehrheitlich männliche Wikipedianer, was auch vermuten lässt, dass dies problematisch ist mit Blick auf eine thematische Einseitigkeit bis hin zu misogynen Beiträgen. Auch gibt es einen hohen Anteil amerikanischer und europäischer Autoren, was auch eine Schieflage gegenüber potenziellen nicht-westlichen Autor*innen bedeutet.

Auf der Startseite von Wikipedia finden sich rechts einige Rubriken, die Herr Hodel uns Zuhörer*innen ans Herz legt: Es geht z.B. um die „Geschichte der Wikipedia“, um die Forschung über Wikipedia und andere interessante Themen. Auch kann man dort die Kritik über Wikipedia, von innen wie von außen, nachvollziehen sowie Informationen über die Sozialstruktur bei Wikipedia erhalten und sich in einem Pressespiegel, der stets aktuell gehalten wird, über und Reportagen zu Wikipedia informieren.

Problematisch ist, bei sich selbst als Nutzer*in anzufangen und die eigenen Nutzungsgewohnheiten zu reflektieren. Die Frage ist, wie ausführlich man Artikel liest und inwiefern man schnell zu pauschalen Urteilen kommt. Besonders trainieren sollte man Schüler*innen dahingehend, dass der kritische Apparat am Seitenende beachtet und betrachtet wird. Fragen die in diesem Zusammenhang zu stellen sind, sind unter anderem: Wie ist das Verhältnis von Quellenhinweisen zur Länge der Artikel? Wie ist die ihnhaltliche Qualität von Wikipediaartikeln im Vergleich zu anderen Publikationen? Wie unterscheiden sich die Artikel in den verschiedenen Sprachen? Als Beispiel führte Jan Hodel die Internetseiten zu Napoleon an, die sich in der deutschen und in der französischen Sprache augenscheinlich wie inhaltlich sehr deutlich unterscheiden. Es ist also auch wichtig, den Schüler*innen mitzugeben, dass sie hier ihre Fremdsprachenkenntnisse anwenden können, um qualitative Unterschiede feststellen zu können und um unterschiedliche geschichtskulturelle Wahrnehmungen zu erkennen.

Schließlich werden praktische Anwendungsmöglichkeiten für einen  produktiven Umgang mit Wikipedia im Unterricht aufgezeigt. Darunter ist  auch ein Vergleich von Einträgen in verschiedenen Sprachen (und somit  verschiedenen Autoren unterschiedlicher Herkunft) zum selben Thema, hier am Beispiel ”Napoleon”€, woraus sich ganz unterschiedliche Perspektiven  auf dasselbe Thema ergeben.

In didaktischer Hinsicht rät Jan Hodel, Diskussionen anzuregen, Fragen oder Forderungen zu stellen, zu analysieren und zu bewerten. Als Beispiel nennt Jan Hodel einen Lehrer, der als Ausgangsfrage gestellt hat: Inwiefern sind Seiten in Wikipedia über die Entdeckung Amerikas eurozentristisch gestaltet? Im Ergebnis hatte diese Auseinandersetzung mit der Frage den positiven Verstärkungseffekt, dass die Schülerinnen und Schüler bemerkt haben, inwiefern ein Perspektivwechsel möglich und nötig ist. Jan Hodel schlägt vor, gezielt Informationen auszuzählen, um Geschichtswahrnehmung zu reflektieren. Eine dritte Möglichkeit ist, Hypertextketten zu erstellen.

Eine weitere Arbeitsform, die interessant und spannend klingt, ist, eine Copy-Paste-Collage zu erstellen, die keine eigenen Textbausteine enthalten, aus verschiedenen Vorlagen bestehen, die jedoch ohne Änderungen auskommen und sinnhaft sein soll. Die Frage, die sich Schüler*innen in diesem Zusammenhang stellen könnten, ist, inwiefern Geschichtsschreibung überhaupt viel Neues enthält, wenn schon viele Dinge beschrieben, geschrieben und umgeschrieben worden sind.

In Anlehnung an die Arbeit mit Wikipedia könnten auch kollaborative Texte erstellt werden, was nicht unbedingt mit Wikipedia selbst gemacht werden muss. Diese kollaborative Technik sollte mehrfach angewendet werden, um sie einzuüben und zu verinnerlichen.

Nicht zuletzt könnte auch als Klassenprojekt tatsächlich ein Wikipedia-Eintrag zu einem historischen Gegenstand erstellt werden. Dabei kann geübt werden, wie vorbereitende Prozesse auszusehen haben, wie eine thematische Auswahl getroffen werden kann und nicht zuletzt ist der Recherche-, Struktur- und Schreibprozess nicht zu unterschätzen. Auch die Verbesserung eines bestehenden Wikipediaeintrags im lokalen oder regionalen Bezug ist denkbar.


Aus der anschließenden Diskussion:

n einer zweiten Phase, die sich an den Vortrag angeschlossen hat, stellte Herr Hodel fünf verschiedene Themen zur Wahl, die er in einem Tablet aufgeführt und mit PDF-Dokumenten konkretisiert hat.

Eine Teilnehmerin sieht den großen Vorteil, dass auch die Herkunftssprachen der einzelnen Schülerinnen berücksichtigt werden und so manche fremdsprachlichen Texte erschlossen werden können.

Eine Kollegin merkt an, dass es durchaus schwierig ist, einen Arbeitsauftrag zu stellen, wie die Hyperlinkkette, da man als Kolleg*in die Kontrolle nicht mehr hat und auch nicht weiß, „wohin die Reise geht“. Herr Hodel rät in diesem Zusammenhang dazu, dieses Projekt zunächst mit bekannten Themen durchzuexerzieren. Andererseits möchte er auch gerne ermutigen, Links mit Schüler*innen gemeinsam zu überprüfen.

Eine weitere Teilnehmerin sieht problematisch, dass manche Wikipedia-Artikel an sich schon sehr lang sind, was für einzelne Schüler*innen eine Überforderung darstellen könnte. Herr Hodel stimmt zu, dass längere Texte aufgeteilt werden müssten. Vorteilhaft sei, dass beim Lesen von Wikipedia Artikeln das überfliegende und gezielte Lesen trainiert werde.

Ein weiterer Teilnehmer merkt an, dass bei Wikipediaartikeln häufig das Problem besteht, dass sie eben nicht altersgerecht sind und den lebensweltlichen Bezug der SchülerInnen haben. Herr Hodel hebt vor, dass mithilfe der Kontrastierung (z.B. mit Schulbuchtexten) dieses Manko auch den Schüler*innen deutlich wird. Potential liege allerdings in der Tatsache, dass Wikipedia Fußnoten enthält, ganz im Gegensatz zum Schulbuch.

Alles in allem hat das Thema bei den Mitgliedern des Verbandes Hessischer Geschichtslehrerinnen und -lehrer hohes Interesse hervorgerufen: 33 Teilnehmer haben interessiert dem Vortrag von Jan Hodel gelauscht und eine angeregte Diskussion geführt oder sich im Chat beteiligt.

Buch bei >Wochenschau

Wikipedia-Buch

Webseiten von Jan Hodel bei der phfhnw, bei der gmw sowie zur Homepage des dwgd,

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