Im Dienste der Wahrheit genügt es nicht, Geist zu zeigen, man muss auch Mut zeigen Ludwig Börne, 1835
Ludwig Börne, geboren am 6.5.1786 als Juda Löb Baruch in der Frankfurter Judengasse, gestorben am 12.2.1837 als Carl Ludwig Börne in Paris, verkörpert vielleicht wie kein anderer und mehr noch als der in der Nachwelt, aber nicht zeitgenösisch, berühmtere Heinrich Heine die Problematik von Freiheit, Gleichberechtigung und nationaler Zugehörigkeit im Deutschland der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Geboren noch im Frankfurter Ghetto, das unter der französischen Belagerung der Stadt 1799 aufgelöst wurde, als Sohn des erfolgreichen und einflussreichen, aber nicht übermäßig reichen Händlers und Bankiers Jakob Baruch und seiner Frau Julie geb. Gumpertz. verließ der junge Börne Frankfurt im Jahr 1800 für ein Schulinternat in Gießen und später wechselnde Studien zunächst in Berlin, dann in Halle und Heidelberg. 1807 wurde ihm in Frankfurt noch ein Reisepass als “Juif de Francfort” ausgestellt, was ihn tief prägte. Später profitierte er von der zeitweiligen Judenemanzipation in der napoleonischen Zeit (in Frankfurt erst 1811) und schloss seine Studien schließlich in Philosophie an der Universität Gießen dank eines gönnerhaften Professors Crome mit der Promotion ab.
Von der Rücknahme des Frankfurter Bürgerrechts für Juden 1815 für seine berufliche Perspektive im Polizeidienst, die sein Vater durch Beziehungen eingefädelt hatte, schwer getroffen, ließ er sich 1818 in Frankfurt unter dem Namen Carl Ludwig Börne evangelisch taufen, um dann aber den Weg des freiberuflichen Publizisten einzuschlagen. Im Polizeidienst hätte man ihn und wohl er sich selbst nun ohnehin nicht mehr vorstellen können.
Er betätigte sich erfolgreich als Journalist trotz der ständigen Knebelung durch die Zensur und ging 1830, begeistert von der Juli-Revolution, nach Paris. Wie für Heine war dies auch für Börne gewissermaßen eher ein freiwilliges Exil, da er unter keiner persönlichen Verfolgung litt wie etwas später >>Georg Büchner und Ludwig Weidig, aber dennoch zweimal verhaftet und einmal zu 14 Tagen Haft verurteilt wurde (1819). Doch fand er in Paris die freie Luft zum Atmen, die er in Deutschland vermisste. Dort lebten bereits 7000 deutsche Emigranten, in ganz Frankreich 30 000, davon allerdings die meisten keine Intellektuellen, sondern Arbeitsemigranten. Wer jedoch aus politischen Gründen nach Frankreich ging, riskierte, in Deutschland als “subversiv” eingestuft zu werden und die Rückkehrmöglichkeit zu verlieren. So verdächtigte Börne z.B. Alexander von Humboldt, in Paris auch als Spitzel für Preußen zu agieren (cf. Jasper, S. 170, 173, 1746).
1832 wurde Börne auf das Hambacher Fest geladen, zur Tarnung als Feier zum Jubiläum der bayrischen Verfassung von 1817 ausgegeben, und wo Börne von den Teilnehmern in höchstem Jubel gefeiert wurde. Doch die “Hambacher” konnten sich auf keine Handlungsperspektive einigen - eine Konsequenz sollte der >Frankfurter Wachensturm werden - und einer der Organisatoren, Siebenpreiffer, wurde verhaftet - dann allerdings aufgrund eines speziellen in der Pfalz geltenden Geschworenengerichts freigesprochen - doch Zensur und “Observierung” im Deutschen Bund wurden weiter verschärft.
Auch in Paris ging das neue Regime unter dem “Bürgerkönig” Louis Philippe gegen unlautere Opposition vor und verbot 1835 die Zeitung Le Reformateur, für die Börne auch aus finanziellen Gründen arbeitete. 1832-33 konnte er bei Julius Campe im Hamburg, der die Zensur geschickt auszutricksen verstand, bis er 1841 Publikationsverbot erhielt, seine politischen Briefe aus Paris herausbringen. Sofern in einzelnen Staaten ihre Auslieferung noch abgefangen werden konnte, wurden sie eingezogen und verboten.
1837 starb Börne an der seit langem in sich tragenden Tuberkulose.
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Seine Konversion zum Christentum 1818 war keine innerliche und Gegner konnten ihm Opportunismus vorwerfen, zumindest den beschränkten Grad an Freiheit erlangen zu wollen, den damals alle nichtjüdischen männlichen Deutschen hatten. Börne gab zwei Wochen vor seiner Taufe auch nur den Namenswechsel bekannt, der ihn bei der Gründung der Zeitschrift Die Wage (sic) helfen sollte, und verheimlichte seinen Religionswechsel. “Drei Louisdor für ein Plätzchen im deutschen Narrenhause” (zit. nach Jasper, S. 67) spendete er dem Pfarrer der Cyriakusgemeinde in Rödelheim (damals noch nicht zu Frankfurt gehörig)
Mit der Zeitenwende 1814 sah Börne zunächst mit gemischten Gefühlen auf die zu Ende gehende napoleonische und die noch ungewisse neue Zeit (“Was wir wollen”):
“Wir wollen freie Deutsche sein, frei in unserem Hasse, frei in unserer LIebe. Mit dem Leibe nicht, nicht mit dem Herzen einem fremden Volke ergeben. [...] Wir wollen Deutsche sein, ernsten ruhigen Sinnes, nicht in dumpfer Gefühllosigkeit auf dem Bauche kriechen, nicht mit wächsernen Flügeln in das Reich der Sonne steigen.”
Lies er sich hier noch vom Patriotismus der Befreiungskriege mitnehmen, so wurde er schon kurz danach eines Besseren belehrt, was die Befreiung “von einem fremden Volke” nicht nur für ihn persönlich brachte. Die “Fremden” hatten durch ihren Beschuss Frankfurts die Öffnung der Judengasse gebracht und während jüdische Freiwillige dennoch auf deutscher Seite gegen die Besatzungsmacht 1815 noch “im Felde waren”, darunter sein Bruder Philipp, schrieb Börne kurz vor seinem Tod in einem Rückblick, kam es, dass “man ihren Vätern zu Hause die bürgerlichen und politischen Rechte wieder entzog, die sie unter dem Einfluss der französischen Gesetzgebung genossen hatten.” (“Menzel...”, S. 17).
Von der zuvor noch nicht geahnten negativen Entwicklung allgemein und insbesondere für die Juden zog er schon 1819 in einem mehrteiligen Artikel der Zeitschrift Zeitschwingen, deren Herausgabe er ab 1.7.1819 übernahm, eine andere Bilanz der politischen und kulturellen Lage in Deutschland. Ein Jahr nach seiner Konversion identifizierte er sich zwar nicht im Titel, wohl aber im Text noch ohne Umschweife durch ein “wir” mit den Juden (“Für die Juden):
“Bei den Deutschen, welche alle Tyrannei, unter der sie litten, dem Napoleon allein auf den Hals geworfen (denn es ist ein verführerischer Traum, an der Tyrannei nur einen Hals zu sehen), schmolz Freiheitstrieb und Franzosenhaß in ein Gefühl zusammen. Und wie man selbst das Gute verkennt oder verschmäht, was Feindeshände darbieten, so verkannte oder verschmähte man auch das Achtungswürdige, das mit der französischen Gesetzgebung ins deutsche Vaterland gekommen. So begann man nach Vertreibung der Franzosen hier und dort die bürgerliche Freiheit der Juden, die ihnen jene geschenkt, als etwas Verderbliches zu betrachten. Dazu kam, daß man die Juden für Freunde der französischen Herrschaft hielt, weil sie, wenn auch nicht weniger als die übrigen Deutschen gedrückt, doch sie allein für die Not einigen Ersatz gefunden. Es ist verzeihlich, wenn ein unbehagliches Gefühl uns gegen diejenigen anwandelt, die aus der Quelle unserer Leiden Vorteil schöpfen — ich meine, es ist eine verzeihliche Schwäche.”
Die Mittelstellung zwischen dem Kriechgang und Dädalus’ wächsernen Flügeln, die er 1814 beschrieb, also der aufrechte Gang fiel Börne im Laufe der Zeit und seines “Guerillakampfes mit der Zensur” (Jasper, S. 120) immer schwerer. Im kulturellen Teil seiner Publikationen, über Literatur, Theater und Geistesleben, nicht nur in eigenen, sondern auch in etablierten anderen Zeitschriften konnte er noch einigermaßen frei schreiben, obwohl auch dem Grenzen gesetzt waren. Seine eigentliche Stärke und das, was seine Zeitgenossen an ihm schätzten und wofür ihn die Nachwelt ehrte, war das Feuilleton, ein Genre, das Börne, von Frankreich inspiriert, in Deutschland beförderte, und worin sich zeitgenössische Beobachtungen über Gesellschaft und Politik miteinander verbanden. Börne gilt als “der Erfinder des politischen Journalismus”.
Kritik und politischer Journalismus war für Börne ein notwendiger Weg zur politischen Veränderung, denn
“in einer gewissen Beziehung kann man freilich sagen, daß jeder Revolution eine Umwandlung der öffentlichen Meinung vorhergegangen sein muß und daß die Schriftsteller allein es sind (wo nämlich keine Volksvertretung stattfindet), durch welche die öffentliche Meinung sich ausspricht.”
Doch war ihm klar genug, der ständig um seine publizistische Freiheit kämpfte, dass es nur eine gesamte bürgerliche Freiheit geben konnte (zit. nach Labuhn, S. 285):
“Die Preßfreiheit, sie ist nicht ein unveräußerliches Recht der Menschen, das diese auch als Bürger nicht verlieren können, und in jeder Staatsverfassung zu genießen haben; sondern die Herrschaft der öffentlichen Meinung, die aus ihr hervorgeht, muß verfassungsmäßig anerkannt sein, und es ist lächerlich in einer uneingeschränkten Monarchie unbeschränkte Preßfreiheit verlangen.”
Dies schrieb er im Januar 1819 in der mit von ihm geleiteten Zeitung der freien Stadt Frankfurt, noch vor dem Attentat auf den Schriftsteller und Burschenschafts-Gegner von Kotzebue durch den Studenten Sand, worauf in den “Karlsbader Beschlüssen” die Schrauben der Zensur drastisch angezogen und seine o.g. Zeitschwingen im Oktober verboten wurden. Für die Zeitung der freien Stadt Frankfurt bekam er wegen Missachtung der Zensur dreimal eine Geldstrafe, u.a. warf man ihm vor, dass er die Zensur optisch in der Zeitung durch Punkte u.ä. kenntlich gemacht habe, und wurde beim vierten Mal zu 14 Tagen Haft verurteilt. Die Strafe musste er nicht antreten, weil er als Redakteur entlassen wurde. Der Verleger, der berühmte Frankfurter Drucker und Verleger Johann David Sauerländer, der auch später Büchners Dantons Tod und seine nachgelassenen Schriften sowie die stenographischen Berichte der Paulskirchen- versammlung herausgab, wurde selbst unter Druck gesetzt, Börne zu entlassen oder die Zeitschrift einzustellen.
Wegen einer anderen und, wie sich herausstellte, falschen Anschuldigung, an der Verbreitung subversiver Druckschriften beteiligt zu sein, wurde Börne dann 1820 doch noch einige Tage in der Frankfurter Hauptwache interniert, bis er nachweisen konnte, zum fraglichen Zeitpunkt in Paris gewesen zu sein (cf. Jasper, S. 124f.).
Am Ende seines nicht sehr langen Lebens kritisierte er Heine, mit dem ihn viel verband und von dem ihn viel trennte, ob dessen Pessimismus, in einer Besprechung von Heines Buch De l’Allemagne 1835: “Im Dienste der Wahrheit genügt es nicht, Geist zu zeigen, man muss auch Mut zeigen.” Diese Maxime ging freilich weit über diesen Kontext hinaus.
In seinem oben zitierten Buch über den als Verräter empfundenen Menzel schrieb Börne in seinem letzten Lebensjahr: “Ich bin nur krank an meinem Vaterlande; es werde frei und ich gesunde.” (S. 6). Dies erinnert, trotz aller Differenzen zwischen beiden, stark an Heine.
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Nicht zufällig engagierten sich Persönlichkeiten jüdischer Herkunft besonders und in Relation zur Gesamtbevölkerung überproportional in der liberalen und demokratischen Bewegung des Vormärz und darüber hinaus sowie damit verbunden im Presse- und Verlagswesen. Allzu nachvollziehbar ist, dass die besondere Beschränkung ihrer Freiheit über diejenige für die Allgemeinheit hinaus auch eine besondere Empörung erzeugte. Für Börne, der sich im Laufe der Zeit und besonders im Pariser Exil zum radikalen Demokraten entwickelte, war die Verbindung zwischen spezieller und allgemeiner Unfreiheit auf äußerst klarsichtige Weise untrennbar miteinander verbunden und auch nur zusammen auflösbar. Im 74. Brief aus Paris schrieb er am 7.2.1832:
“Tausend Male habe ich es erfahren, und doch bleibt es mir ewig neu. Die einen werfen mir vor, daß ich ein Jude sei; die andern verzeihen mir es; der dritte lobt mich gar dafür; aber alle denken daran. Sie sind wie gebannt in diesem magischen Judenkreise, es kann keiner hinaus. Auch weiß ich recht gut, woher der böse Zauber kömmt. Die armen Deutschen! Im untersten Geschosse wohnend, gedrückt von den sieben Stockwerken der höhern Stände, erleichtert es ihr ängstliches Gefühl, von Menschen zu sprechen, die noch tiefer als sie selbst, die im Keller wohnen. Keine Juden zu sein, tröstet sie dafür, daß sie nicht einmal Hofräte sind. Nein, daß ich ein Jude geboren, das hat mich nie erbittert gegen die Deutschen, das hat mich nie verblendet. Ich wäre ja nicht wert, das Licht der Sonne zu genießen, wenn ich die große Gnade, die mir Gott erzeigt, mich zugleich ein Deutscher und ein Jude werden zu lassen, mit schnödem Murren bezahlte – wegen eines Spottes, den ich immer verachtet, wegen Leiden, die ich längst verschmerzt. Nein, ich weiß das unverdiente Glück zu schätzen, zugleich ein Deutscher und ein Jude zu sein, nach allen Tugenden der Deutschen streben zu können und doch keinen ihrer Fehler zu teilen. Ja, weil ich als Knecht geboren, darum liebe ich die Freiheit mehr als ihr. Ja, weil ich die Sklaverei gelernt, darum verstehe ich die Freiheit besser als ihr. Ja, weil ich in keinem Vaterlande geboren, darum wünsche ich ein Vaterland heißer als ihr, und weil mein Geburtsort nicht größer war als die Judengasse und hinter dem verschlossenen Tore das Ausland für mich begann, genügt mir auch die Stadt nicht mehr zum Vaterlande, nicht mehr ein Landgebiet, nicht mehr eine Provinz; nur das ganze große Vaterland genügt mir, soweit seine Sprache reicht.”
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Seit 1993 verleiht die Ludwig-Börne-Stiftung den Ludwiig-Börne-Preis für herausragende Leistungen im Journalismus, cf.
https://boerne-stiftung.de/ludwig-boerne-preis.html https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/thema/ludwig-boerne-preis
Dass es auch hin und wieder Kritik an den Ehrungen durch diesen Preis gab, soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden.
Weitere Hinweise:
Ludwig Börne >Frankfurter Personenlexikon / >Deutsche Biograpie(1955)
Eduard Beurmann: Ludwig Börne als Charakter und in der Literatur. Frankfurt a. M. (Körner) 1837. Online lesbar bei drei US-Universitätsbibliotheken >Hathi Trust.
Michael Holzmann: Ludwig Börne. Sein Leben und sein Wirken nach den Quellen dargestellt. Berlin (R. Oppenheim) 1888. - Digitalisat >archive.org
Ludwig Börne und Frankfurt am Main. Vorträge zur 200. Wiederkehr seines Geburtstages am 6. Mai 1986. Frankfurt (Klostermann) 1987.
Alfred Estermann (Hrsg.): Ludwig Börne 1786-1837: Zum 200. Geburtstag des Frankfurter Schriftstellers. Freiheit, Recht und Menschenwürde. Ausstellungskatalog Frankfurt am Main (Buchhändler-Vereinigung) 1986.
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