Am 9.-10. Oktober 1847 trafen sich im Gasthof zum halben Monde in Heppenheim zahlreiche Abgeordnete aus den damals existierenden deutschen Landtagen bzw. “Ständekammern”. Der Gasthof wurde zu einer Begegnungsstätte des deutschen Liberalismus auch in späterer Zeit (siehe Gasthof zum Halben Mond).
Initiiert und mitorganisiert wurde das Treffen von dem badischen Abgeordneten Karl Mathy, der auch die in Heidelberg seit 1.7.1847 gedruckte Deutsche Zeitung mit herausgab, und dort ausführlich über die Heppenheimer Tagung berichten konnte:
Heppenheim, 10. Oktober. Heute waren in dem Gasthause zum ”Halben Monde” Kammermitglieder aus verschiedenen deutschen Staaten in freundschaftlichem Kreise versammelt. Es hatten sich eingefunden: aus Preußen Hansemann; aus Württemberg Federer, Fetzer, Goppelt, Murschel und Römer; aus Baden Bassermann, Buhl, Dennig, v. Itzstein, Kapp, Mathy, v. Soiron, Welcker und Weller; aus Hessen v. Gagern und Wernher; aus Nassau Hergenhahn. Noch andere waren erwartet, aber theils durch die Landtage (in Baiern und Kurhessen), theils durch andere Hindernisse abgehalten.
Insgesamt 57 Abgeordnete aus den “Kammern”, d.h. “von Deputirten aus den verschiedenen Staaten mit landständischer Verfassung”, kamen dort zusammen, mit einem deutlichen Schwergewicht aus Süddeutschland. Mathy konnte darüber in seiner Zeitung erstaunlich offen berichten, weil die Zensur im Deutschen Bund gerade gelockert worden war, wenn auch noch nicht aufgehoben. Noch vor der Februarrevolution in Paris und somit ohne jeden Einfluss von dort war im Deutschen Bund ein Windhauch von Reform zu spüren, wenn auch nicht in allen Bundesstaaten gleichermaßen. Am 12.9.1847 war eine Versammlung in badischen Offenburg vorausgegangen, die stärker vom demokratischen Radikalismus von Hecker und Struve beeinflusst war. Die Heppenheimer Tagung war dagegen auf die in den “Kammern” schon etablierten Abgeordneten orientiert und wollte sie zu einem gemeinsamen Handeln zusammenbringen. “So daß wir hoffen dürfen, einen Anfang eines Deutschen Parlaments in Heppenheim zu haben”, schrieb Friedrich Daniel Bassermann, führende Figur der Mannheimer Liberalen, der Mitstreiter von Mathy und Verleger der Deutschen Zeitung, in seiner Einladung an Heinrich von Gagern (Hoede, S. 50, 72), damals über Hessen-Darmstadt hinaus bekannt gewordener oppositioneller Abgeordneter aus Rheinhessen. Die Idee zum Heppenheimer Treffen geht aber auf den Aachener David Hansemann zurück, der mit den Süddeutschen Liberalen in enger Verbindung stand und auch die 1847 gegründete Deutsche Zeitung unterstützte.
Eine wichtige Persönlichkeit im hessisch-badischen Liberalismus war Johann Adam von Itzstein, ein alter “Mainzer Jakobiner”, auf dessen Weingut in Hallgarten im Rheingau zahlreiche Treffen stattfanden (der “Hallgartenkreis” - siehe >Die Folgen von 1830 in Hessen). Er selbst wurde als Mannheimer Hofgerichtsrat Mitglied der badischen Ständeversammlung und dort Führer der Liberalen. Dem Hallgartenkreis von ca. 50 Mitgliedern gehörten Teilnehmer aus ganz Deutschland an, darunter auch Robert Blum aus Leipzig.
Ein wesentlicher Grund für Wahl Heppenheims als Tagungsort war wohl, dass der Ort kurz zuvor an die Main-Neckar-Bahn angeschlossen worden war und damit leichter erreichbar für die von weiter her Anreisenden. Mannheim wäre stattdessen auch für seine liberale Szene zu bekannt gewesen und stand unter Beobachtung nach dem Bekanntwerden der Offenburger Versammlung, sowie auch Itzsteins Gut Hallgarten inzwischen geheimdienstlich observiert wurde (cf. Hoede, S. 60, 4f.).
Neben der Offenburger Versammlung liefert auch die Heppenheimer Tagung den Beleg, dass die politischen Veränderungen auch in Deutschland von den Demokraten und Liberalen weiter vorangetrieben wurden und noch weiter gegangen wären auch ohne das erneute “Krähen des gallischen Hahns”, nach dem Wort von Heinrich Heine, der schon 1830 dessen zweites Krähen bejubelte, oder nach einer Karikatur von 1847 von Heinrich Wilhelm Storck, die das Erwachen den schlafmützigen deutschen Michel mit Anspielung auf den gallischen Hahn vorausahnend darstellte.
Die Heppenheimer Tagung brachte ihre Überzeugung zum Ausdruck, “daß bei dem Entwicklungsgang des Jahrhunderts und Deutschlands die Einigung durch Gewaltherrschaft unmöglich, nur durch die Freiheit und mit derselben zu erringen sei”, und verabschiedete ein politisches Programm, das die Märzforderungen vorwegnahm:
Die Entfesselung der Presse, damit die Deutschen der ungehemmten Wirksamkeit dieses mächtigsten Bildungs- mittels teilhaftig und von der Schmach befreit werden, die ihnen das Ausland so häufig ins Gesicht wirft, weil sie eines der höchsten Güter freier Völker, das ihnen längst verheißen ist, noch nicht errungen haben; öffentliches und mündliches Gerichtsverfahren mit Schwurgerichten, Trennung der Ver- waltung von der Rechtspflege, Übertragung aller Zweige der Rechtspflege, der Administrativjustiz und der Polizei straf- gewalt an die Gerichte und Abfassung zweckmäßiger Polizei- strafgesetze, Befreiung des Bodens und seiner Bearbeiter von mittelalterlichen Lasten, Selbständigkeit der Gemeinden in der Verwaltung ihrer Angelegenheiten, Minderung des Aufwandes für das stehende Heer und Einführung einer Volkswehr u. A. kamen zu ausführlicher Besprechung; eben so die verfassungsmäßigen Mittel, welche geeignet sind, den gerechten Ansprüchen des Volkes Nachdruck zu geben. Vorzugsweise aber nahmen auch die Mittel gegen Verarmung und Not, sowie das damit in Zusammenhang stehende Steuerwesen Zeit und Aufmerksamkeit der so Versammlung in Anspruch.
Der Bericht über die Heppenheimer Tagung in der Deutschen Zeitung erregte große Aufmerksamkeit auch in der weiteren Presselandschaft und entsprechende Reaktionen seitens der Obrigkeiten. So empörte sich der preußische König Friedrich Wilhelm IV. über die “Mannheimer und Heppenheimer Demagogen”, die, einer gott- und rechtlosen Sekte gleich”, auf das Signal aus der Schweiz reagierten, wie er das interpretierte, wo am 3.11. der Sonderbundskrieg ausgebrochen war und am 29.11. zu einer neuen und engeren bundesstaatlichen Verfassung führte. Er missbilligte die Toleranz der süddeutschen Staaten (cf. Hoede, S. 112ff.), traf aber gegenüber seinem Ratgeber Freiherr von Bunsen aber auch folgende interessante Feststellung über die Frage einer Intervention gegen solch eine Versammlung:
“Es ist Thorheit und Frevel in die Conferenz einzugehen, wenn man im Voraus entschlossen ist, unter keiner Bedingung bewaffnet zu intervenieren, oder mit anderen deutlichen Worten, sich ungestraft beleidigen lassen zu wollen. Mögen andere so etwas dulden, als Preuß. Offizier (. Das bin ich durch u. durch) kann ich so etwas weder rathen noch dulden. Lieber bleib ich ganz heraus.” (Friedrich Wilhelm IV. in einem Brief an Freiherr Christian Carl von Bunsen in London, 8.12.1847, zit. in Hoede, S. 113).
Dies wirf auch eine interessantes Licht auf die Ereignisse ein halbes Jahr später.
Die Frage nach den Unterschieden zwischen den “Offenburgern” und den “Heppenheimern” ist oft diskutiert worden (dazu Hoede in seinem Buch), es war sicher weniger die Zielsetzung als die Vorgehensweise. Der Appell an die Abgeordneten der Landtage hatte strategische Bedeutung und sollte zu einer weiteren Konferenz im Jahr darauf und überhaupt zu einem koordinierten Auftreten in den betreffenden Landtagen führen. Geplant war in gewisser Weise, mit einem modernen Ausdruck, ein “Marsch durch die Institutionen”, und sollte über die Frage der nationalen Einheit auch eine politische Liberalisierung erreichen. Hansemann hatte schon vorher im Preußischen Landtag für eine “deutsche Nationalversammlung im Rahmen des Zollvereins” (Wikipedia) plädiert. Da die Einheitsforderungen nicht auf dem Index standen und vom Prinzip her auch in Kreisen vieler Landesregierungen auf ein offenes Ohr trafen sowie im Zollverein bereits einen wirtschaftlichen Ausdruck gefunden hatten, erschien dies wie ein Einfallstor auch für weitergehendere Forderungen.
Die Tatsache, dass sich in Heppenheim auch bekannte und populäre Abgeordnete der Landtage trafen, ließ die Regierungen vor polizeilichen Maßnahmen zurückschrecken, bilanziert Roland Hoede: “Die Reaktion schaute in gewisser Weise machtlos wie das Kaninchen auf die Schlange, die sich da, in Worten des preußischen Königs [...] ‘in telegraphischer Geschwindigkeit’ [...] eine Organisation neben den eigentlichen Regierungsapparaten aufzubauen begann.” (Hoede, S. 119).
Nachwirkungen der Heppenheimer Versammlung
Dei französische Februar-Revolution schuf dann unerwartet neue Tatsachen und brachte den revolutionären Aufbruch auch in Deutschland auf die Straße. Die Vorbereitungen v.a. der südwestdeutschen Liberalen waren jedoch nicht umsonst, das Netzwerk des Hallgartener bzw. Heppenheimer Kreises wurde aktiviert um auf der Heidelberger Versammlung am 5.3.1848 einen Siebenerausschuss zu wählen, der die Wahl einer Nationalversammlung vorbereiten sollte. In ihm vertreten waren auch die beiden Hessen Georg Christoph Binding (Frankfurt) und Heinrich von Gagern sowie Adam von Itzstein. Gagern wurde am selben Tag zum Innenminister (= führenden Minister) in Hessen-Darmstadt ernannt und nahm die Mitgliedschaft im Siebernerausschuss nur zögerlich an. Dies war noch knapp zwei Wochen vor der großen Volksversammlung vor dem Berliner Schloss am 18. März, auf die gemeinhin der Beginn der 1848er Revolution datiert wird. Der Siebenerausschuss organisierte dann mit Hilfe des etablierten Netzwerks die Einberufung des Frankfurter Vorparlaments, in dem die Südwestdeutschen eindeutig überrepräsentiert waren und aus Hessen alleine mehr Teilnehmer kamen als aus Preußen (150 / 141), darunter 10 Frankfurter. Fast alle Teilnehmer der Heppenheimer Tagung waren auch im Vorparlament und/oder in der Nationalversammlung vertreten (cf. Hoede, S. 147f.). (>Paulskirche)
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