Gedenken an Oskar Schindler am 9.10.2024 im Hessischen Landtag. Dokumentation zu Schindler und Rede von Michel Friedman im Landtag von der Hessenschau
Am 9.10.2024 fand im Hessischen Landtag eine Gedenkstunde zu Oskar Schindler, dem nach dem Krieg bekannten und unbekannten Frankfurter, statt, ohne dessen Rettung von Juden vor der Vernichtung im besetzten Polen es Michel Friedman nicht geben würde. Friedman hielt eine eindrucksvolle Rede im Landtag mit explizitem Bezug zur Aktualität von Rassismus und Antisemitismus und Antidemokratie und deren Repräsentation durch demokratische Wahlen auch im Landtag. Wer könnte unter den gegebenen Verhältnissen damals etwas gegen die Verhältnisse tun und wie Oskar Schindler Menschen retten? Und wer kann unter den gegebenen Verhältnissen heute, mitten in der Demokratie, etwas zu deren Schutz tun? Diese Frage wurde damals auch noch danach tunlichst übergangen und Schindlers Tat ignoriert - wenn er nicht gar bespuckt wurde. Und wie ist mit dieser Frage heute?
Das Online-Dossier der Hessenschau berichtet von der Rede im Landtag und stellt die Rede selbst sowie eine Einführung und eine kurze historische Sendung der Hessenschau mit Schindler selbst und über ihn aus dem Jahre 1965 (!!!) zu Verfügung. In der Einführung wird auch unser Vorstandsmitglied Martin Liepach als Mitarbeiter des Fritz Bauer-Instituts zu Schindler interviewt.
Schlechter Unterricht über NS-Geschichte an hessischen Schulen?
Brief an die Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Betr.: „Ohne NS-Zeit durch die Schule“, F.A.Z. Rhein-Main 20.9.2024
Sehr geehrte Redaktion,
wir hätten uns gefreut, wenn in Fragen des Geschichtsunterrichts nicht nur die GEW, sondern auch der Verband Hessischer Geschichtslehrerinnen und -lehrer kontaktiert worden wäre.
Der Vorfall an der Integrierten Gesamtschule, dass Schülerinnen oder Schüler nach der 9. Klasse abgehen, ohne dass sie das Thema Nationalsozialismus im Geschichtsunterricht hatten, ist wohl kein Einzelfall und zunächst dem geschuldet, was in dem Artikel genannt wird. Ein strukturelles Problem ist die Integration des Hauptschulzweigs mit nur 9 Jahren in eine Integrierte Gesamtschule, deren Lehrplan bis zur Mittleren Reife auf 10 Jahre ausgerichtet ist, in einer Kooperativen Gesamtschule ist das anders. Die Schulen können das Problem, dass der Nationalsozialismus regulär erst in Kl. 10 drankommt, für solche Eventualfälle intern lösen, wie berichtet. Warum das in diesem Fällen nicht geschehen ist, können wir nicht beurteilen.
Damit verbunden sind offensichtlich jedoch noch andere Probleme: Lehrermangel und ein überproportional hoher Anteil an fachfremd erteiltem Geschichtsunterricht im Fach Gesellschaftslehre, denn dieses wird gerne als „Verschiebebahnhof“ zur Lösung der Personalprobleme benutzt, weil man meint, das kann jeder einigermaßen unterrichten.
Es geht aber noch um mehr.
In dem Artikel wird mit Verweis auf die Aussage der Sprecherin der Landesschülervertretung und eine Untersuchung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages behauptet, es gäbe ein grundsätzliches Problem der Vermittlung der NS-Geschichte im Unterricht, wonach „seine Bedeutung abnimmt“. Dies sei Ergebnis dessen, dass der Nationalsozialismus nicht mehr als „geschlossenes Themenfeld“ behandelt werde. Die Bundestagsuntersuchung greift in ihrer Kritik auf den Gedenkstätten-Rundbrief 117 von 2015 zurück, der damals die Vernachlässigung der Sachinhalte im Rahmen der Kompetenzorientierung kritisierte. Bei den diesbezüglich erwähnten Lehrplänen ist der hessische aber nicht dabei.
Wir verwahren uns somit dagegen, dies hier nun verfälschend auf Hessen zu projizieren. Im hessischen Geschichtsunterricht ist nach den geltenden Grundlagen (Kerncurriculum von 2011) eine Verbindung „Totalitäre Systeme/Nationalsozialismus“ vorgesehen, die der adäquaten Behandlung des Nationalsozialismus keinen Abbruch tut, zumal das Thema Shoa noch extra erwähnt wird.
Tatsächlich hat auch der hessische Geschichtslehrerverband 2010, zusammen mit dem Historikerverband und anderen Beteiligten, gegen den Entwurf des Kerncurriculums Geschichte wegen der mangelhaften Sachinhalte protestiert. Erreicht wurde dadurch eine nachträgliche Einführung von „Basisnarrativen“, die diese Inhalte zumindest ausreichend stichwortartig abbilden, wie oben zitiert zu Nationalsozialismus und Shoa. Dies ist aber seit langem verbesserungsbedürftig und schon 2019 wurde eine Konkretisierung dieser Inhalte für alle Fächer angekündigt, sie liegt aber immer noch in der Schublade.
Fazit: Den im letzten Teil des Artikels pauschalisierten Vorwurf, es werde in Hessen schlechter Geschichtsunterricht zum Thema Nationalsozialismus gemacht, weisen wir mit Nachdruck zurück.
Wolfgang Geiger, 24.9.2024
Links: Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Die Verankerung des Themas Nationalsozialismus im Schulunterricht in Deutschland, Österreich, Polen und Frankreich, 2018 >online / Andreas Geike: Die Verankerung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen im Unterricht: Dargelegt an Hand der Rahmenlehrpläne der Länder, in: Gedenkstätten-Rundbrief, 117 (2015): >online
Die FAZ nahm einen Teil des Leserbiefs in einem Nachtrag zum Thema auf:
Frankfurter Allgemeine Zeitung 227/2024, S. 2 Schulämter sehen keinen Reformbedarf RHEIN-MAIN Behandlung des Nationalsozialismus im Unterricht der integrierten Gesamtschulen sei klar geregelt
[...]
“Auch der Hessische Geschichtslehrerverband äußert sich zu dem Fall. Die Integration des Hauptschulzweigs mit nur neun Jahren in eine integrierte Gesamtschule sei ein "strukturelles Problem", meint der Landesvorsitzende Wolfgang Geiger, denn deren Lehrplan sei bis zur Mittleren Reife auf zehn Jahre ausgerichtet. "In einer kooperativen Gesamtschule ist das anders." In dieser Schulform werden die Bildungsgänge mit ihren jeweiligen Lehrplänen nämlich getrennt unterrichtet.
Geiger sieht jedoch noch weitere Schwierigkeiten: Der Lehrermangel und ein überproportional hoher Anteil an fachfremd erteiltem Geschichtsunterricht im Fach Gesellschaftslehre führten dazu, dass dieses Schulfach gerne als "Verschiebebahnhof" zur Lösung der Personalengpässe benutzt werde, "weil man meint, das kann jeder einigermaßen unterrichten". Geiger verwahrt sich jedoch gegen die unter anderem von der Landesschülervertretung geäußerte Kritik, dass die Bedeutung der Vermittlung der NS-Geschichte grundsätzlich abnehme. "Den im letzten Teil des Artikels pauschalisierten Vorwurf, es werde in Hessen schlechter Geschichtsunterricht zum Thema Nationalsozialismus gemacht, weisen wir mit Nachdruck zurück", sagt der Landesvorsitzende.” rsch.
Podiumsdiskussion bei der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag
Antisemitismus in Hessen - Der 7. Oktober und seine Folgen für die Bildungsarbeit
V.l.n.r.: Ben Salomo (im Monitor), Dr. Wolfgang Geiger, Alon Meyer, Uwe Becker, Dr. Deborah Schnabel und Moderator Hanning Voigts von der Frankfurter Rundschau. (© >FDP-Fraktion)
Zu diesem Thema fand am 17.4.2024 eine Podiumsdiskussion auf Einladung der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag statt. Der VHGLL / der Arbeitskreis Deutsch-jüdische Geschichte des VGD, in Personalunion vertreten durch den Landesvorsitzenden Dr. Wolfgang Geiger, war mit auf das Podium geladen, zusammen mit Uwe Becker, hessischer Beauftragter für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Alon Meyer, Präsident von Makkabi Deutschland e.V., Ben Salomo (per Video), Rapper und Singer-Songwriter, Dr. Deborah Schnabel, Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank.
Das Video der knapp zweistündigen Veranstaltung kann auf der >Einladungsseite durch Klick auf das Bild mit dem Verweis auf Youtube angesehen werden.
In der Diskussion kam die Realität des seit dem 7.10. verstärkten Antisemitismus durch die Betroffenen bzw. damit unmittelbar Befassten eindrücklich zur Sprache: Alon Meyer, Uwe Becker sowie Ben Salomo - aus seiner Erfahrung in der Hiphop-Szene, aber auch durch seine zahlreichen Schulbesuche in den letzten Jahren. Aus zwei verschiedenen, aber konvergierenden Perspektiven auf den Bildungsbereich waren sich Deborah Schnabel und Wolfgang Geiger einig darin, dass die Lehrkräfte mit dem Problem von Seiten der Bildungsinstanzen bislang zu sehr alleine gelassen werden, v.a. angesichts des Widerspruchs, der sich dabei mit den Forderungen des Zentralrats, der KMK und der Antisemitismusbeauftragten in der >Gemeinsamen Empfehlung von 2021* zeigt. Darin wurden sehr hohe Anforderungen an die Schulen nach Fortbildung gestellt, für die es bislang aber aber zu wenig Angebote gibt und faktisch keines zum Nahostkonflikt. Über zu wenig Unterstützung diesbezüglich haben auch die Teilnehmer:innen unserer Fortbildung vom 9.3.2024 geklagt.
Presse-/Medienechos: Mit dem Titel “Wir müssen Lehrer befähigen” hat die Frankfurter Rundschau eine treffende Formel gefunden: >FR. Die Frankfurter Allgemeine betont dagegen die Bilanz “Sprunghafte Zunahme von antisemitischen Angriffen” und spricht im Text von “Überforderten Lehrern”, ohne den einzigen an der Diskussion teilnehmenden Lehrer auch nur zu erwähnen; zudem hat diese so oft gebrauchte Formel “überforderte Lehrer” auch immer einen gewissen Klang von - zumal im Kant-Jahr - selbstverschuldeter Unfähigkeit. >FAZ
Hinweise: Lesenswert! Die Autobiographie Ben Salomo bedeutet Frieden, >Europa Verlag, 2019. >Bildungsstätte Anne Frank, dort gbt es u.a. eine Seite zum Thema >Tiktok: Analysen und pädagogische Materialien
(*Eine kritische Würdigung der Empfehlung gab es in Geschichte für heute 2/2023.>gfh)
Aktuell: Nie wieder? Schon wieder!
Eine besondere Empfehlung für die Lektüre von Michael Wolffsohns neuem Buch.
Zum Holocaust-Gedenktag 2024 am 27. Januar bringt der Herder-Verlag ein neues Buch von Michael Wolffsohn heraus: Nie wieder? Schon wieder! Alter und neuer Antisemitismus. Es ist ein großer Essay in mehreren Teilen. Im Mittelpunkt stehen zwei Redemanuskripte zur Gedenkstunde an den Novemberpogrom 1938 am 9.11.2023 im Berliner Abgeordnetenhaus, wozu Wolffsohn als Gastredner geladen war. Das erste Manuskript ist die vor dem 7.10. vorbereitete Rede, das zweite die dann gehaltene. Warum sie sich unterscheiden, liegt auf der Hand.
Ein längerer Vor- und Nachspann ergänzen Wolffsohns Überlegungen zum Thema neuer alter Antisemitismus in Bezug auf Israel, aber nicht nur. Der Horizont in dem kleinen Buch ist weit gesteckt, zeitlich und räumlich, und fast jede Seite ist schon ein Thema für sich. Der Bogen spannt sich zum einen von den Ursprüngen Israels im Altertum zu Israel heute im Nahen Osten und in der globalen Welt, sowie zum anderen vom Antisemitismus in Deutschland, der in den Holocaust gemündet hat, über den Umgang damit in Deutschland (Ost und West) nach 1945 hin zum bleibenden bzw. israelbezogen erneuerten Antisemitismus bis nach dem Schwarzen Schabbat am 7. Oktober.
Der essayistisch geschriebene Text formuliert in manchmal drastischer Sprache eine drastische Kritik an Heuchelei und formalistischem Anti-Antisemitismus von offizieller Seite, wie er sich, rituell „pfäffisch vorgetragen“, in vielen offiziellen Bekundungen äußert. Wolffsohn zerstört Illusionen und Trugbilder bei jenen, die sie unbewusst hatten, und bewusste Verdrängungen, die es auch gibt. So die Tabuisierung des Antisemitismus in muslimischen Kreisen von Migranten (ohne Pauschalisierung!) und die Vernachlässigung des linken Antisemitismus, die beide zum 7.10. ihr besonderes coming out und coming together hatten. Wogegen immer schon die allermeisten Erfahrungen verbaler und physischer Gewalt gegen Jüdinnen und Juden durch muslimische Täter erfolgten, aber der Hinweis darauf den Vorwurf der Islamfeindichkeit einbrachte. Und vor mehreren Jahrzehnten konnte auch ich an der Uni schon sehen, wie israelbezogener Antisemitismus unter dem Deckmantel des Antiimperialismus begann.
Wolffsohn zeigt auch eine heuchlerische Seite der offiziellen Haltung zu Israel auf, jedenfalls vor dem 7.10., mit Zitaten von Bundeskanzlern oder anderen hohen Politikern, die unterhalb der offiziellen Ebene alles andere als später die Merkelsche „Staatsräson“ zum Ausdruck brachten. Und wie beim öffentlichen „Für Antisemitismus ist in Deutschland kein Platz!“ geht es auch für den Bildungsbereich vor allem um die Beruhigung des eigenen Gewissens. Es ist eine simplistische Vorstellung, mit simpler Bildung ließe sich Antisemitismus präventiv bekämpfen, waren doch die historischen Antisemiten zuallererst Hochgebildete.
Soweit zentrale Thesen von Wolffsohn, nicht die einzigen. Optimismus zeigt sich hier nicht, aber Wolffsohn ist auch kein Defätist, er lässt der Leserin und dem Leser durchaus Spielraum zum produktiven Nachdenken, selbst wenn man nicht mit allem einig geht. Die Form des Essays kommt ohne Nachweise auf das Behauptete aus und baut auf das Vertrauen in den Autor. Nicht nur wer Zweifel hat, kann die neuralgischen Zitate im Internet überprüfen und wird immer fündig, wenn auch nicht unbedingt auf den ersten Klick. Dies wäre auch eine schöne Aufgabe zur Internetkompetenz für Schülerinnen und Schüler.
Wolfgang Geiger Mitglied des Arbeitskreises Deutsch-jüdische Geschichte des VGD Redaktionsmitglied von Geschichte für heute Vorsitzender des Hessischen Landesverbandes
>>Erklärung des Verbandes der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Deutschlands zum Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober und israelbezogenem Antisemitismus in Deutschland
28.2.2023 Paulskirche:
175. Jahrestag der Revolution 1848
Auftakt der Jubiläumsfeiern mit Misstönen: Lehrer-Bashing in Sachen Demokratieunterricht
Am 28. Februar wurde in der Frankfurter Paulskirche mit einer großen Veranstaltung der Auftakt der Jubiläumsfeiern zur 1848er Revolution vor 175 Jahren an einem der beiden zentralen Orte des damaligen Geschehens und der heutigen Würdigung begangen .
Der Rahmen war die Edition Paulskirche von Kiepenheuer & Witsch, in 16 Bänden geplant, dessen erster Band zu Emma Herwegh hier auf der Festveranstaltung im Mittelpunkt stand, neben einem allgemeinen historischen Rückblick mit aktuellen Bezügen zum Thema Demokratie. Elke Heidenreich, vielseitige und engagierte Schrifstellerin, Literaturkritikerin und Journalistin, hat das Vorwort zu dem Band über Emma Herwegh verfasst und eröffnete die Veranstaltung mit einer Lesung des Textes. Es folgte eine Podiiumsdiskussion mit Jörg Bong (Schriftsteller, Herausgeber des Bandes “Frühe demokratische Programme in der Edition Paulskirche), Ina Hartwig (Kulturstadträtin), Marina Weisband (Publizistin). Moderation Cécile Schortmann (Hessischer Rundfunk), die auch durch die ganze Veranstaltung führte.
Das Ganze war eine durchaus gelungene Veranstaltung, abgesehen von einem erheblichen Misston: Gleich zur Einstimmung gab es von der Moderatorin die Frage, ob es denn nicht ein Schulfach Demokratie geben müsse. Elke Heidenreich griff dies auf: “Wir alle” hätten ja von der Paulskirche in der Schule nichts gelernt – und das kollektiven "Wir alle" konnte sie nicht nur auf ihre Generation bezogen sein; später wurde das Thema “Schulfach Demokratie” wieder aufgegriffen und Marina Weisband meinte, das könne nicht nur ein Schulfach sein, das müsse alle Fächer durchziehen. Damit hatte sie ja vollkommen Recht, aber auch hier war der Unterton: Das ist ein Wunsch, es gibt es ja noch nicht.
Niemand von den Diskutanten kam auf die Idee, dass Demokratie derzeitig in der Schule gelehrt wird und das Thema Paulskirche eines der ältesten Standardthemen überhaupt ist.
Es war eine Ehre für mich, als Vorsitzender des Verbandes Hessischer Geschichtslehrerinnen und -lehrer zu der Veranstaltung eingeladen worden zu sein, aber nicht, dort stellvertretend kollektiv für alle Geschichtslehrerinnen und -lehrer beschimpft zu werden, weil wir angeblich keine Demokratiegeschichte unterrichteten.
Die wörtliche Transkription aus der Video-Aufzeichnung der Veranstaltung folgt hier weiter unten.
Das ist nicht das erste Mal, dass ich in dem Rahmen der 1848er Veranstaltungen Kritik am Schulunterricht gehört habe. Im September fand schon im Historischen Museum eine Veranstaltung des Jubiläumsnetzwerks 1848 statt, initiiert und organisiert von der Berliner Initiative Friedhof der Märzgefallenen, wo ebenfalls von einem professoralen Redner dem Geschichtsunterricht Inkompetenz in Sachen Erinnerungskultur vorgeworfen wurde, in der Schule würde ja “nur Wissen” gelehrt - ein Vorwurf aus dem letzten Jahrhundert, der spätestens seit der PISA-Debatte, aber eigentlich vorher schon, obsolet ist. Gegenüber dem Vorwurf, wie er am 28.2. in der Paulskirche kam, nur vergleichsweise harmlos, zeigt aber nichtsdestotrotz ebenfalls die Inkompetenz derjenigen, die uns Inkompetenz vorwerfen.
Es wird mir immer klarer, dass alle diese Initiativen ihre Existenzberechtigung mit dem Argument des schulischen Defizits begründen (müssen), und etwas Analoges gibt es in dem Zeitzeugen/Gedenkstätten-Diskurs, der seit Jahren insinuiert, dass es keinen angemessenen Unterricht mehr ohne lebende Zeitzeugen geben könne. Gemeint ist hier das Thema Nationalsozialismus und es ist bezeichnend, dass diesbezüglich vor Jahren ja auch in gleicher Manier eine “Holocaust Education” als Schulfach gefordert wurde, während Elke Heidenreich ja in der Paulskirche meinte, dass vor allem das unterrichtet würde und nicht die Demokratiegeschichte.
Beides wird gemacht, ist sicher immer verbesserungswürdig und daher immer in der Diskussion, auch durch uns im Verband und auf dieser Website. Diese unqualifizierten Angriffe diskreditieren nicht uns sondern ihre Autoren.
Wolfgang Geiger
Transkription der entsprechenden Passagen aus der Video-Aufzeichnung des HR
https://www.hessenschau.de/kultur/auftakt-der-jubilaeumsfeiern-edition-paulskirche-vorgestellt,video-180272.html
Cécile Schortmann (Moderatorin, HR)
Über die Edition Paulskirche, KiWi
“Und diese Bücher finden übrigens in multimedialer Weise vielerlei Ergänzungen: Es gibt einen Podcast, es gibt viele Veranstaltungen, es gibt Dokumentationen in Arte, im HR, im ZDF über die [Buch-]Reihe, aber auch über 1848. Und es soll auch an Schulen viel darüber gesprochen werden, ja, vielleicht, darüber reden wir später, gibt es eine Anregung, auch mal das Schulfach Demokratie einzuführen.“ 24:40-25:08
Elke Heidenreich (Literaturkritikerin, Publizistin): Rede, Vorwort zum Band über Emma Herwegh
„Es war noch gar die Rede vom Herzstück dieser Edition, das Herzstück ist das Buch von Jörg Bong, Die Flamme der Freiheit. Und wenn man das liest, dann liest man etwas, was wir in der Schule alle nicht gelernt haben, man hat uns das gar nicht beigebracht, wir haben immer Drittes Reich gelernt und die Napoleon-Feldzüge […]“ 25:42-25:58
Podiumsdiskussion:
Jörg Bong (Schriftsteller), Ina Hartwig (Kulturstadträtin), Marina Weisband (Publizistin)
Moderation Cécile Schortmann
(Im Anschluss an den Vorschlag von Ina Hartwig, Schulklassen sollten Parlamente besuchen): „Frau Weisband, wäre es ´ne Möglichkeit, über den Besuch der Klassen in Parlamenten hinaus das Fach Demokratie in Schulen einzuführen, würden Sie das für sinnvoll halten?“ - „Ich wäre streng dagegen, wir können ja auch ´ne Demokratiestunde am Tag einführen oder einen Demokratietag im Jahr… äh, Quatsch, die Demokratie muss natürlich alles durchziehen […]“ 1:14:52-1:15:19
Wolfgang Geiger
Hinweis:
Documenta-Antisemitismus?!
Warum die Analysen in den Medien bislang auf halbem Wege stehen bleiben
https://www.juedischegeschichte.de/html/aktuelles.html
23.6.2022
Erklärung des VHGLL zum Krieg gegen die Ukraine
Krieg zur Korrektur der Geschichte?
Der Verband des Hessischen Geschichtslehrerinnen und - lehrer ist schockiert von dem Angriffskrieg gegen die Ukraine, der am 24.2.2022 auf Betreiben des russischen Präsidenten Wladimir Putin begonnen wurde. Zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges wird auf breiterer Ebene und mit viel weiter gehenden Konsequenzen als im Krieg im ehemaligen Jugoslawien das seit 1899 (erste Haager Landkriegsordnung) etablierte und seither in vielen internationalen Abkommen weiterentwickelte Völker- und Kriegsrecht in Europa selbst brutal gebrochen: durch den Angriff als solchen, aber auch durch die Kriegführung gegen zivile Ziele, d.h. gegen die Zivilbevölkerung – eine Kriegführung, von der zu dem Zeitpunkt, wo wir dies schreiben, noch nicht abzusehen ist, welche Dimensionen der Vernichtung sie noch erreichen kann.
Die Begründungen hierfür auf der offiziellen Ebene – Denazifizierung, Demilitarisierung, Abwehr eines Angriffs der Ukraine auf Russland (letzteres von Außenminister Lawrow am 10.3.2022) – sind so absurd, dass sie nicht einmal mehr Verständnis oder auch nur kognitives Verstehen in der Öffentlichkeit beabsichtigen, sondern einfach nur Ausdruck dessen sind, dass es keine vorzeigbare Begründung dafür gibt.
Unterhalb dieser offiziellen Ebene wird seit Jahren in Äußerungen von Präsident Putin der Ukraine das Existenzrecht als eigenständiger Staat abgesprochen mit historischen Argumenten, dass die Ukraine ein Teil Russlands und eine Selbstständigkeit künstlich sei. Die Ukraine hat zweimal ihre Unabhängigkeit erklärt, das erste Mal in der Russischen Revolution beim Zerfall des Zarenreiches 1917/18, und das zweite Mal beim Zerfall der Sowjetunion 1991. Sie tat dies aufgrund des Artikels 73 der sowjetischen Verfassung von 1977, der ihr da Recht dazu gab und mit dem Ende der kommunistischen Herrschaft erstmals in Anspruch genommen werden konnte. Diese Entscheidung wurde in einem Referendum mit über 90% Zustimmung getroffen.
Nicht zum ersten Mal wird die Geschichte zu politischen Zwecken und auch zur Rechtfertigung von Krieg missbraucht. Die Geschichte seit 1991 und letztlich seit dem historischen „Fehler“ Lenins mit der föderalen Sowjetverfassung (laut Putins Erklärung vom 21.2.2022) soll durch diesen Krieg korrigiert werden. Dieser Krieg bliebe wohl auch nicht der letzte, wenn er denn erfolgreich endete. Der historisch einzigartige Widerstandswille der ukrainischen Bevölkerung zeigt jedoch tagtäglich, wie sehr das Unabhängigkeitsbewusstsein der in der Ukraine lebenden Menschen, und darunter auch vieler russischsprachiger Ukrainerinnen und Ukrainer, durch den Versuch der Korrektur der Geschichte gestärkt wird.
Als Geschichtslehrerinnen und -lehrer, aber auch als einfache Staatsbürgerinnen und -Staatsbürger, treten wir dem entgegen, rufen auf zur Unterstützung der Ukraine auf und zur Integration dieser Thematik in den Geschichtsunterricht.
16.3.2022
>Stellungnahme des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands VHD
>Erklärung des Vorstandes der Konferenz für Geschichtsdidaktik
>Statement des Europäischen Geschichtslehrerverbandes Eurociio
Hinweise: Russland verstehen?! Von der Annexion der Krim zur Unterwerfung der Ukraine. Blick auf die jüngere und ältere Geschichte. >>Geschichtslehrerforum
Deutscher Bildungssserver: Unterrichtsmaterialien zum Thema “Ukraine-Krieg”, hier >Audio-Linkempfehlungen Der Ukraine-Krieg im Kontext Bildung, >Dossier Der Ukraine-Krieg als Thema im Schulunterricht, >Arbeitsblätter und weitere Unterrichtsmaterialien
Verband der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Rheinland-Pfalz: Mit Schülerinnen und Schülern über den Krieg in der Ukraine sprechen .- eine >Impulssammlung, darunter Materialhinweise (zur Recherche sowie zum Einsatz im Unterricht)
Niedersächsischer Geschichtslehrerverband: >Informationsmaterialien zum Krieg in der Ukraine
Hinweis auf Medienkooperation des VGD mit dem ZDF
24.1.2022: Wannseekonferenz
Zum 80. Jahrestag strahlt das ZDF am 24.1.2022 den Fernsehfilm Die Wannseekonferenz, in dem diese filmisch inszeniert wird, siehe https://presseportal.zdf.de/pm/die-wannseekonferenz/ und auf einer weiteren Seite zur Dokumentation. Dort gelangt man auch zu didaktischen Materialien, die von VGD-Mitgliedern erstellt wurden.
Frühere GeschichtekOoperationen mit dem ZDF: Extremismus, Kaisersturz (Mediathek, Materialien)
9. November im Bundespräsidialamt
1919 - 1938 - 1989: Deutschlands 9. November - Gedenken im Bundespräsidialamt, Sondersendung der ARD abrufbar in der >Mediathek.
Afghanistan
Wenn die Schule wieder beginnt, fragen die Schülerinnen und Schüler vielleicht nach Afghanistan. Was dazu sagen? Auf dem Geschichtslehrerforum finden Sie eine >>Seite zu Afghanistan mit vielen Links zu umfangreichen Informationsmöglichkeiten.über Geschichte und Aktualität.
75 Jahre Demokratie in Hessen
Übersicht Vielfältiges Angebot zum 75-Jahre-Jubiläum auf der Website des Hessischen Landtags.
Weiteres dazu auch auf unserer Seite Veranstaltungen 2.
1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland
Wir verweisen auf die >Links und Infos des Arbeitskreises Jüdische Geschichte des VGD.
Zusätzliche Links zu Hessen:
Hessischer Rundfunk: >Podcast hr2 Jüdische Welt vom 6.8.2021 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland mit Daniel Neumann Podcast hr2 Camino 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland: 1. vom >19.2.2021: Vielfalt unter einem Dach: die jüdische Gemeinde Frankfurt 2. vom >26.3.2021: Rabbinerausbildung in Berlin und Brandenburg 3. vom >5.3.2021: Ich bin Jüdin. Aufbruch einer jungen Generation.
Webseite zum Thema im >Kulturportal der Stadt Frankfurt
Webseite des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels mit Podcast des HR vom 10.5.2021: “Mit Lippen am Stein des Gebets küsse ich lebenslang Tod” (Nelly Sachs) über die Bücherverbrennung 1933. Mit Skript zur Radiosendung.
Erklärung des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands 21.5.2021
Die Bekämpfung von Antisemitismus ist eine Pflicht für uns alle Erklärung des VGD zum Aufflammen des Antisemitismus anlässlich des aktuellen Konflikts in Nahost
Erklärung öffnen oder herunterladen
Petition zur Erhaltung der Steinhalle des Landesmuseums Mainz
Wir unterstützen die Petition zur Erhaltung der Steinhalle im Mainzer Landesmuseum, die von der Epigraphikerin und Archäologin Ulrike Ehmig gestartet wurde - >>openPetition - und der sich unser Nachbarverband Rheinland-Pfalz sowie der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands mit offenen Briefen angeschlossen haben, gegen das Projekt einer vollkommenen Umgestaltung und Umnutzung als “Demokratie-Labor” - auch wenn die Steinhalle seit 2016 schon vorübergehend vom Landtag genutzt wurde. Die Sammlung archäologischer Relikte aus der Römerzeit hat überregionale Bedeutung.
So sehr die Förderung der Erinnerung an die jüngere deutsche Demokratiegeschichte wichtig und richtig ist, so wenig ist zu verstehen, warum die Erinnerung an eine weiter zurückliegende Epoche, in der der Begriff der Republik entstanden ist, dahinter zurückstehen und eine Ausstellung, die an die Römerzeit erinnert, von diesem Ort verschwinden soll. Die Demokratien der Neuzeit haben sich bei ihrer Entstehung auf das antike Vorbild berufen, in den USA, in der Französischen Revolution..., auch dies gehört zu einer Erinnerungskultur der Demokratie, wenn dies auch in den archäologischen Objekten nicht direkt zum Ausdruck kommen mag.
17.5.2021
Weitere Links zum Thema:
Mainz& / swr2 / F.A.Z.
Foto: Carole Raddato, Wikimedia Commons
Gedenkveranstaltung zur Deportation von Sinti und Roma vor 78 Jahren in Darmstadt Im Licht der Mordaktion von Hanau vor einem Jahr mit Jochen Partsch, Adam Strauß, Daniel Neumann und Renate Dreesen am 14.3. auf Youtube.
Selten waren schreckliche Vergangenheit und schreckliche Aktualität so eng miteinander verbunden, dies machen der Darmstädter OB Jochen Partsch und Adam Strauß, Vertreter des Landesverbandes der Sinti und Roma, sowie Daniel Neumann, Vorsitzender des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Hessen, und Renate Dreesen, Mitglied des Sprecherrates der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Hessen, in ihren Reden zum Gedenktag der Deportierung Darmstädter Juden vor 78 deutlich.
Das Video der Reden (ca. 42:00) ist auf Youtube zu sehen. Weitere Links dazu:
https://www.darmstadt.de/nachrichten/darmstadt-aktuell/news/gemeinsame-gedenkstunde-zum-78-jahrestag-der-deportation-der-darmstaedter-sinti-am-14-maerz
http://www.gedenken-in-hessen.de/?page_id=360
https://www.echo-online.de/lokales/darmstadt/gedenkakt-in-darmstadt-fur-die-sinti_23297062
http://www.gedenken-in-hessen.de/?page_id=360
Endlich frei! - 75 Jahre Demokratie in Hessen
TV-Dokumentation des HR, ausgestrahlt auf Hessen 3 am 9.3.2021, in der ARD-Mediathek verfügbar bis 6.3.2022.
In dem Film berichten Zeitzeugen vom demokratischen Neuanfang in Hessen nach 1945, den sie als Kinder erlebten. Was bedeutete die neue Freiheit für den Alltag, für die Schule, für ihr Leben?
Ein gelungener Film, auf erfrischende Weise mit dem “Zusammenbruch”-Feeling aufräumt und deutlich macht, wie man damals eione Freiheit empfinden konnte, die man niemals zuvor kennengelernt hatte.
Unmittelbar nach Bekanntwerden des islamistisch motivierten Mordes an dem französischen Geschichtslehrer Samuel Paty hat der Bundesverband (VGD) eine Stellungsnahme veröffentlicht. Sowohl der Name des Opfers als auch die Identität des mutmaßlichen Täters waren damals noch nicht bekannt: >hier
DDR-Geschichte im / für den Unterricht:
Zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung gibt es eine Aktualisierung bzw. Ergänzung von euregeschichte, einem Projekt des MDR, an dem der VGD und vor allem Mitglieder des hessischen Landesverbandes beteiligt sind. Vgl. auch den Flyer dazu.
Außerdem ein Interview zum Thema DDR-Geschichte im Unterricht mit Gert Mengel (Rostock, Vorsitzender des VGD-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern) und Wolfgang Geiger (Frankfurt am Main, Vorsitzender VHGLL / VGD-Landesverband Hessen) auf Zeit Online.
Stellungnahme des VHGLL zur Petition Anti-Rassismus und Deutsche Kolonialgeschichte in Hessens Lehrplan!
Im Zuge der nach den jüngsten Vorfällen in den USA erstarkenden Black lives matter!-Bewegung und einer daran anschließenden breiteren Bewegung gegen Rassismus auch in Deutschland hat sich eine bundesweite Initiative für Petitionen in jedem Bundesland gebildet, die die Behandlung der deutschen Kolonialgeschichte und deren Folgen sowie eine weitergehende antirassistische Erziehung im Schulunterricht fordert.
►Hier die Stellungnahme des VHGLL ..und das ►Echo in der Frankfurter Rundschau
Die Stellungnahme enthält eine ausführliche Erläuterung.
Eine weiterführende inhaltliche Auseinandersetzung mit der Thematik erschien in der HLZ 12/2020, S. 30f.: Wolfgang Geiger: Kolonialismus und Rassismus - Herausforderungen für den Unterricht (das Heft steht auch online).
An dieser Stelle möchten wir auch auf unsere Jahrestagung 2018 zum Thema Schwierige Erinnerung: Frühe Völkermorde des 20. Jahrhunderts. Deutsch-Südwestafrika (Herero) und Osmanisches Reich (Armenier) hinweisen sowie auf unsere stets weiter ausgebaute und aktualisierte Themenseite Kolonialismus.
Ferner sei hier auch auf die Webseite des Geschichtslehrerforums zum Thema Deutsch-Südwestafrika und Völkermord an den Herero mit ausführlichen Materialien und Quellen aus verschiedenen Perspektiven hingewiesen.
Aktuell im Web:
“Die Gewalt wird nicht thematisiert.” Viele deutsche Schulbücher beschönigen auch heute noch die Kolonialzeit..., Interview mit Josephine Apraku von Simon Sales Prado, taz, 15.7.2020.
So absolut ist das Zitat im Titel wohl nicht für alle Schulbücher aufrechtzuerhalten, trotzdem ist eine breitere Schulbuchkritik dazu überfällig, Untersuchungen gibt es bereits u.a. vom Georg-Eckert-Institut (siehe auf unserer Seite Kolonialismus).
16.7.2020
Geschichtsunterricht in Zeiten von Corona?
Unser Appell an das Kultusministerium vom Mai und die Antwort - zusammengefasst
Angesichts dessen, dass die partielle Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts nach der Cornoa-Schulschließung ohne Geschichte in der Oberstufe erfolgte und bis zum Schuljahresende so blieb, haben wir dem Kultusminister unsere Besorgnis zum Ausdruck gebracht, dass das Fach Geschichte, das immerhin durch die Landesverfassung einen besonderen Auftrag hat (Art. 56), nun ausgerechnet mit den Themen Weimarer Republik und Nationalsozialismus in der Q2 nicht mehr für den Präsenzunterricht vorgesehen war (abgesehen von den Leistungskursen) und vielleicht auch bei zukünftigen coronabedingten Einschränkungen benachteiligt würde. Für die Sek. I stellte sich nach dem 18.5. ein uneinheitliches Bild dar, an einigen Schulen wurden alle Fächer (reduziert) unterrichtet, an anderen nicht.
Das Ministerium hat unsere Kritik angenommen und auf die besondere Notsituation hingewiesen. Für die letzte Phase vor den Ferien wurde Politik und Wirtschaft gegenüber Geschichte präferiert, weil PoWi im Unterschied zu Geschichte in der Q1-2 einbringungspflichtig und später nicht mehr belegpflichtig ist, weswegen viele Schülerinnen und Schüler das Fach im 2. Jahr der Qualifikationsphase abgeben. Dieses Argument war für uns auch nachvollziehbar. Das Ministerium hat uns aber versichert, dass darüber hinaus Geschichte keineswegs benachteiligt werden solle, „denn im Geschichtsunterricht werden Kompetenzen und Inhalte vermittelt, die unverzichtbar für die Ausbildung des Demokratiebewusstsein bei unseren Schülerinnen und Schülern ist.“ (Aus dem Brief des HKM).
Wir gehen folglich davon aus, dass bei einer evtl. zweiten Corona-Welle sinnvollerweise Geschichte und die anderen Nebenfächer proportional am ggf. reduzierten Präsenzunterricht beteiligt bleiben und keine Priorisierung von Fächern zum Nachteil unseres Faches erfolgt.
16.7.2020
Auf einer >>Extra-Seite Lehren aus Weimar: Die Schwäche der Demokraten ist die Stärke der Antidemokraten Eine historische Lektion aus Hessen 1931
Erklärung zu den Morden in Hanau am 19.2.2020
Wir teilen das Entsetzen über den rassistisch motivierten Terrorakt in Hanau und die Bestürzung über die Abfolge rechtsextremer Gewalttaten in kurzer Zeit in Deutschland.
Der Mordanschlag auf vermeintliche “Ausländer” in der Wahrnehmung des mutmaßlichen Täters in der Nacht vom 19.-20.2.2020 hat angesichts des Selbstmordes am Ende das formale Charakteristikum eines Amoklaufes. Wie im Fall von Halle wird dies von einigen auch wieder als “unpolitische” Tat eines geistig Verirrten bagatellisiert, so vom Vorsitzenden der AfD-Bundetagsfraktion Alexander Gauland (am 20.2. in der Tagesschau) . Doch in der offenbar gestörten Persönlichkeit des mutmaßlichen Attentäters, der gezielt neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordete und fünf weitere verletzte, mischen sich individuelle Wahnvorstellungen mit rassistischem Hass und rechtsextremen Verschwörungstheorien, die nicht neu sind, historische Vorbilder haben und heute zuhauf im Internet zirkulieren, woher er sie auch bezogen und selbst verbreitet hat.
In seinem Bekennerschreiben auf seiner Homepage “fabuliert er über die Frage, wie viele Deutsche ’reinrassig und wertvoll’ seien - und zählt mehr als zwei Dutzend Staaten auf, deren Bevölkerung seiner Meinung nach vernichtet werden müsste.” (Terror in Hanau, 20.2.,2020, Der Spiegel). In der Darlegung seiner rassistischen Beweggründe richtet er “sich in seinen Gedankengängen vor allem gegen Menschen aus muslimischen Ländern, aber auch gegen Israel.” (Rassismus, Verschwörungen und Verfolgungswahn, 20.2.2020, ZDF).
Unschwer sind hier ideologische Wurzeln rassistischen Denkens zu erkennen, die auf das 19. Jahrhundert zurückgehen und im Nationalsozialismus zum Völkermord an Millionen Menschen geführt haben. Das Ende dieser Katastrophe (hebräisch Shoah) jährt sich in diesen Wochen und Monaten zum 75. Mal. Die bestürzende Reaktualisierung des Denkens, das dazu führte, hat nicht nur Mord- und Terroraktionen einzelner Täter in jüngster Zeit und weiter zurück u.a. den “NSU” hierzulande zu seinen Morden und Breivik in Norwegen zu seinem Massaker motiviert, sondern gehört auch zu den Motiven von rechtsextremen Untergrundgruppen und weiter verzweigten Netzwerken, die durch Anschläge Chaos und bürgerkriegsähnliche Zustände herbeiführen wollen, und von denen jüngst zwölf Verdächtige einer Terrorzelle verhaftet wurden (cf. u.a. Auf einen Schlag, 16.2.2020, FAZ).
Für uns Geschichtslehrerinnen und -lehrer ist dies einmal mehr ein Grund, weiterhin diese Zusammenhänge im Unterricht zu thematisieren und die Bedeutung der Geschichte für heute zu verdeutlichen.
21.2.2020
Januar 2020:
75 Jahre Befreiung von Auschwitz und die Gegenwart der Vergangenheit
Die ”Befreiung von Auschwitz” - wie es immer schräg genannt wird, denn nicht das KZ wurde befreit, sondern die dort zurückgelassenen, dem Tode überantworteten Überlebenden - jährt sich zum 75. Mal.
”Vergangenheit, die nicht vergeht” ist nicht nur eine zum Ritual gewordene Formel.
► Siehe auch auf der Website des Arbeitskreises Deutsch-jüdische Geschichte:. Fragen und Umfragen zur Erinnerung an den Holocaust. Pünktlich zum 75. Jahrestag des 27.1.1945 wird den Schulen wieder die Schuld an mangelndem Geschichtsbewusstsein gegeben >>Aktuelles des Arbeitskreises
Bundesprä¤sident Frank-Walter Steinmeier: Reden in Yad Vashem am 23.1.2020 und im Bundestag am 29.1.2020, Besuch der Gedenkveranstaltung in Auschwitz am 27.1.2020
Rede in Yad Vashem auf dem World Holocaust Forum am 23.1.2020 Als erster Bundespräsident hielt Frank-Walter Steinmeier am 23. Januar eine Rede in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Der hebräische Name bezieht sich auf eine Stelle des Propheten Jesaja, worauf Steinmeier hinwies, wonach den Toten ”ein Denkmal und ein Name”€ gegeben werde. [Jesaja 56;5: ”Und denen will ich ... ein Denkmal (Yad) und einen Namen (Shem) geben; einen ewigen Namen, der nicht vergehen soll” - Zur >>Entstehungsgeschichte von Yad Vashem] ”Die Flamme von Yad Vashem erlischt nicht. Und unsere deutsche Verantwortung vergeht nicht”€, erklärte er und bekannte zugleich: ”Aber manchmal scheint es mir, als verstünden wir die Vergangenheit besser als die Gegenwart. Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand” >>Video und Text der Rede auf der Website des Bundespräsidenten
Gedenkveranstaltung in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz am 27.1.2020 Zusammen mit dem israelischen Staatspräsidenten Rivlin nahm Steinmeier auch an der Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag in Auschwitz teil. Nach der Kranzniederleggung betonte er auch in einem Statement gegenüber den Medien, dass die Mahnung der Vergangenheit keineswegs nur ein Ritual ist: ”Aber manchmal, wenn wir in diese Zeit [= heute] schauen, habe ich den Eindruck, dass das Böse noch vorhanden ist.€” >>Video und Text des Statements auf der Website des Bundespräsidenten.
Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag am 29.1.2020 Mit dem israelischen Staatspräsidenten Rivlin war Steinmeier nach Auschwitz und dann nach Berlin gereist. In seiner Rede im Bundestag erklärte er: ”Viele Deutsche meiner Generation haben nur dank dieser Aufarbeitung ihren Frieden mit dem eigenen Land machen können. Dass die Auseinandersetzung mit der historischen Schuld heute zum Selbstverständnis unseres Landes gehört, wird von Demokraten in diesem Haus nicht bestritten.”€ >>Video und Text der Rede auf der Website des Bundespräsidenten
Interview mit Ulrich Bongertmann (VGD) zum Gedenktag im Heute Journal
Dass Geschichtslehrer/innen und Vertreter/innen des VGD zu den öffentlich diskutierten Themen auch gehört werden, ist eher selten und wenn, dann meistens sehr eingeschränkt. Eine große Ehre war es daher für Ulrich Bongertmann - und für uns alle -, dass der ehemalige VGD-Vorsitzende (bis 2018) als Repräsentant des Verbandes im Heute Journal am 27.1. ein fünfminütiges Interview bekam. Der Ausschnitt aus der Sendung kann hier noch einmal angesehen/angehört werden: Heute Journal.
Hinweis auf Gedanken zum Gedenken auf der Website des VGD-Arbeitskreises Deutsch-jüdische Geschichte: Fragen und Umfragen zur Erinnerung an den Holocaust Pünktlich zum 75. Jahrestag des 27.1.1945 wird den Schulen wieder die Schuld an mangelndem Geschichtsbewusstsein gegeben >>Aktuelles des Arbeitskreises
Befreiung vor 75 Jahren und Gedenken im Angesicht der Überlebenden heute - Ausstellung in Essen
Das Gedenken an den 27. Januar 1945 ist dieses Jahr besonders intensiv. Die Zahl der Überlebenden aus den Vernichtungslagern wie überhaupt der Angehörigen jener Generation, die die Verfolgung durch den Nationalsozialismus auf die eine der andere Weise erlebt und überlebt hat, sinkt zwangsläufig immer mehr. In Essen wurde die Ausstellung Survivors des Fotografen Manfred Schoeller eröffnet, die, so einfach wie genial, aktuelle Porträtaufnahmen von Überlebenden zeigt. Auch das Video und die Fotos auf >>T-Online vermitteln ein Stück der Atmosphäre jener Begegnung mit diesen Menschen, die uns in die Augen schauen. >>Website der Ausstellung
Zum Anschlag in Halle am 9.10.2019
Das versuchte Attentat am 9. Oktober 2019 auf jüdische Gläubige in der Synagoge von Halle am Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, und die dann verübten Morde an einer Passantin auf der Straße und einem Gast an einem Döner-Imbiss sowie die Schüsse auf zwei weitere Personen, die schwer verletzt überlebten, zeigen auf dramatische Weise, wie gewalttätig antisemitische und rechtsextreme Gesinnung in Deutschland heute werden kann.
Während die Medien anerkennend betonen, dass die Polizei schon 10 Minuten später vor Ort war, hat Dr. Josef Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, im Fernsehen am Abend des Anschlags gleich zu Recht hervorgehoben, dass es keinen Polizeischutz an der Synagoge gegeben habe und dass ein solcher aller Wahrscheinlichkeit nach die beiden anschließenden Morde verhindert hätte. (https://www.tagesschau.de/inland/reaktionen-schuesse-halle-103.html)
Der Vorgang ist in mehrfacher Hinsicht paradigmatisch für die ganze Thematik, denn er verbindet alle Einzelaspekte dieser Problematik miteinander und zeigt die Verfälschung der Geschichte in politischer Absicht.
1. Es gibt auch heute noch antisemitische Verschwörungstheorien, die Menschen zu Gewalttaten stimulieren.
2. Die Synagoge in Halle - und dies gilt analog für andere jüdische Einrichtungen - war nur sicher, weil sie sich schon quasi zu einer Festung verbarrikadiert hatte.
3. Denn der Rechtsstaat, der laufend vom Antisemitismus als Bedrohung spricht, war vor Ort nicht schützend präsent.
4. Während die Medien in ihrer Berichterstattung fast ausschließlich die antisemitische Absicht thematisieren, zeigt der Tatverlauf mit der dabei offenbarten Ideologie des Täters ein viel breiteres Spektrum des Hasses, das in der Neuen Rechten verankert ist. Dieser Hass richtete sich auch gegen Frauen und Immigranten im Rahmen einer Verschwörungsphantasie, wonach Juden einen “Bevölkerungsaustausch” in Deutschland herbeiführten und dabei vom Feminismus durch den von ihm verursachten Geburtenrückgang unterstützt würden. Den Holocaust habe es gar nicht gegeben, sondern er sei eine Erfindung der Juden um den Deutschen ein Schuldbewusstseiin einzuimpfen und sie gefügig zu machen. Der Rassismus zeigt sich hier in seiner ganzen Bandbreite vom Antisemitismus bis zum Antifeminismus.
Dies sind alles Thesen, die in der Neuen Rechten weit verbreitet sind und zumindest teilweise “von Rechtspopulisten in Talkshows vorgetragen werden.” (https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-10/anschlag-halle-synagoge-antisemitsmus-rechtspopulismus/komplettansicht)
Als Staatsbürgerinnen und -bürger empört uns dies zutiefst, als Geschichtslehrerinnen und -lehrer sagen wir aber auch, dass die pauschalen Schuldzuweisungen an die Schule und an angeblich mangelhaften Geschichtsunterricht, wie sie schon oft genug in Reaktion auf antisemitische Vorfälle erfolgten, nicht gerechtfertigt sind. Die Analyse der Ursachen und die Präventionsarbeit sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Der VHGLL nimmt konsequent zu in diesem Sinne relevanten Themen auf seiner Website Stellung und bietet auch Fortbildungen an, gerade in diesem Kalenderjahr, die zur Stärkung des demokratischen Geschichtsbewusstseins beitragen (>>Veranstaltungen). Er wird sich auch weiterhin für die konsequente Aufarbeitung der Lehren aus der deutschen Geschichte und namentlich gegen Tendenzen zur Revision, Verharmlosung oder Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus einsetzen.
13.10.2019
Siehe auch eine weiterführende Analyse auf www.juedischegeschichte.de/Aktuelles
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