Königstein und seine Bedeutung in der Nachkriegszeit und in der frühen Bundesrepublik
Aktuell + Neu! Sonderausstellung im Stadtmuseum Königstein zum Neuanfang nach 1945 in Hessen und zum Gründungsprozess der Bundesrepublik + Digitales Museum online siehe Kulturelles Erbe >>Königstein
Mit der Verabschiedung des Grundgesetzes verbindet man vor allem den Verfassungskonvent in Herrenchiemsee vom 10.-23.8.1948 Vorbereitungen dazu und überhaupt Treffen der westdeutschen Ministerpräsidenten, der Gremien des Vereinigten Wirtschaftsgebiets der westlichen Besatzungszonen und des Parlamentarischen fanden jedoch auch im “Haus der Länder” in Königstein statt. “Die Villa Rothschild gilt seit der Ministerpräsidentenkonferenz vom 23. März 1949 als Wiege der Republik.” (Bundesrat).
Die Tagungsstätte war die ehemalige Villa Rothschild, die Wilhelm Carl von Rothschild 1888-94 als Sommerresidenz bauen ließ. Nach seinem Tod 1901 erbte es seine Tochter Minna Karoline, die schon 1903 im Alter von 45 verstarb. Deren Kinder emigrierten in der Nazi-Zeit in die Schweiz, 1938 wurde die Villa als letztes der Immobilien der Frankfurter Rothschilds beschlagnahmt.
Ebenfalls “arisiert” wurde 1938 die Villa Gans, die Eigentümerinnen, die fünf Töchter von Adolf und Martha Gans (gest. 1912 und 1918), emigrierten in die Schweiz und die USA. 1945 wurde das Haus von der US-Besatzungsmacht konfisziert und als Victory Guest House genutzt bis 1952. General Eisenhower bezog darin den 1. Stock.
Nach dem Krieg konfiszierte die Besatzungsmacht das Haus und übereignete es dann dem neu gegründeten Staat Hessen. 1948 verpachtete es der 1946 vom neuen hessischen Landtags gewählte Ministerpräsident Christian Stock an den Parlamentarischen Rat.Am 23.3.1949 wurde dort von den Ministerpräsidenten das Königsteiner Staatsabkommen zur Finanzierung wissenschaftlicher Forschungs- einrichtungen beschlossen, das wegweisend für die föderale Zusammenarbeit der entstehenden Bundesrepublik war, denn hier wurde der Königsteiner Schlüssel erstmalig festgelegt, der das “Gewicht” eines jeden Landes festlegt, nicht nur für die Anteile der Länder an einer gemeinsamen Finanzierung, sondern auch an der Verteilung von Flüchtlingen auf die Länder, wofür der Königsteiner Schlüssel heute noch sehr bekannt ist. Auch weitere Entscheidungen zum Bundesrat wurden dort getroffen, so die Königsteiner Vereinbarung über die Wahl des Bundesratspräsidenten am 30.8.1950.
Robert Kempner und Eugen Kogon
Der Berliner Jurist Robert Kempner (1899-1993) konnte 1939 noch aus Italien in die USA emigrieren, wurde dort Berater des Präsidenten Roosevelt und 1943 Mitglied der United Nations War Crime Commission. 1945 kam er nach Deutschland zurück als stellvertretender Chefankläger der Vereinigten Staaten im großen Nürnberger Prozess sowie danach im sog. Wilhelmstraßenprozess. 1951 eröffnete er eine Rechtsanwaltspraxis in Frankfurt und wohnte später in Königstein.
Eugen Kogon (1903-1987) wurde 1939 in Österreich verhaftet und im KZ Buchenwald interniert. Nach der Befreiung durch die US Army wurde er von ihr Berater in die Psychological Warfare Division mit Sitz in Bad Homburg aufgenommen und Chronist im Militärstützpunkt Camp King in Oberursel. In diesem Zusammenhang entstand unter seiner Leitung ein Bericht über Buchenwald, der wesentlich auf den Aussagen ehemaliger Häftlinge, darunter Kogon selbst, beruhte, Der Buchenwald-Report, der jahrzehntelang als verschollen galt, wurde erst 1987 in den USA wieder gefunden und 1995 veröffentlicht. Kogon verarbeitete diese Informationen und seine persönlichen Erfahrungen parallel dazu bereits für ein Buch, ebenfalls im Auftrag der Amerikaner und als Teil der Reeducation, das den Horizont des Themas ausgehend von Buchenwald erweiterte. Es erschien als erstes seiner Art schon 1946 und wurde zum meistverkauften Buch zu dieser Thematik bis heute: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. Kogon hielt jedoch darin mit seiner Kritik an der Kollektivschuldthese der Amerikaner nicht zurück, die er als kontraproduktiv für das Reeducation-Projekt bewertete. Kogon ließ sich mit seiner Familie 1950 in Falkenstein nieder und wurde im Jahr darauf Professor für Politikwissenschaft an der TH (heute TU) Darmstadt.
Er war Mitbegründer der Gesellschaft für Wissenschaft von der Politik, später Gesellschaft für Politische Wissenschaft, die, nach einem ersten Impuls durch eine Tagung 1949 in Waldleinigen im Odenwald, 1951 in Königstein gegründet wurde und in den ersten Jahren auf heftige Ablehnung aus dem universitären Establishments stieß, da diese “politische Wissenschaft” “ in manchen akademischen Kreisen als eine weitere aufoktroyierte Erziehungsmaßnahme wahrgenommen wurde.” (Beismann, S. 95, Kogon, Hessen nach dem Zusammenbruch, S. 49f. - Literaturangaben siehe unten). In gewisser Weise analog wird von heutigen Politologen seine moralische Haltung als unwissenschaftlich kritisiert, weil ihm zufolge “die Logik politischen Handelns in kollektiver Moral fundiert sein muss” (König, S. 54). So schrieb Kogon noch 1977 in seinem Vorwort zur Neuauflage von Der SS-Staat über die Lehren aus der NS-Tyrannei: “Die Vergangenheit ist in der Bundesrepublik nicht moralisch, sondern politisch bewältigt worden - in einer Konstellation der Interessen und Kräfte, die dem auf das Nachhaltigste zuträglich war.” (S. 9). Nur “politisch” meint hier gewissermaßen äußerlich, nicht innerlich. Die deutsche Geschichtswissenschaft folgte in den 1950er Jahren weitgehend der auch in der Bevölkerung verbreiteten Einstellung, die Deutschen seien die ersten Opfer Hitlers gewesen, nicht die Schuldigen daran oder gar dessen, was dann folgte (vgl. Berg, S. 102ff.). Dies war sozusagen die Umkehrung der Kollektivschuldthese: die Kollektiv- entschuldigung.
Kempner und Kogon wurden noch in der Nachkriegszeit und in der frühen Bundesrepublik für ihre Arbeit zum Teil heftig kritisiert, Kempner sogar angefeindet; Kogon vor allem wegen seines journalistisch-politischen Verständnisses von einem Erziehungsauftrag für das deutsche Volk, Kempner als Ankläger in den Prozessen und vor allem wegen des Wilhelmstraßenprozesses (Urteilsverkündung 11.4.1949). Dort standen führende Beamte des Auswärtigen Amtes, darunter auch der ehemalige Staatssekretär Ernst von Weizsäcker, vor Gericht und wurden zu Haftstrafen verurteilt, die dann jedoch alle reduziert wurden, z.T. sogar beträchtlich.
Robert Kempner war das rote Tuch für all diejenigen, die aus ganz unterschiedlichen Motiven heraus die “Siegerjustiz” geißelten, ehemalige Nazis, aber auch Oppositionelle wie der württembergische Landesbischof und EKD-Vorsitzende Theophil Wurm, dem die Nürnberger Justiz mit der Ausweitung auf “die Beamten” des Regierungsapparats zu weit ging. Sie fanden damals ein Echo u.a. in der Zeit durch den Mitherausgeber und Chefredakteur Richard Tüngel, der, Wurm zitierend, die "verbrecherischen Methoden und abscheulichen Quälereien" Kempners im Wilhelmstraßen- prozess geißelte (“Wurm gegen Kempner”1948, siehe rechte Spalte weiter oben). Die damit angeblich erpressten Aussagen eines Zeugten betrafen jedoch nur Dokumente, die schwarz auf weiß vorlagen bzw. zutage gefördert werden konnten und nur richtig interpretiert werden mussten im Hinblick auf die Frage der Mitverantwortung durch das AA (vgl. Kempner, S. 310ff.).
Gegen den “unrühmlich bekannten Ankläger von Nürnberg” schrieb Richard Tüngel noch weitere Hetzartikel, in einem davon zitiert er 1951 sogar Kempners Erwiderung darauf (siehe rechts) und schloss seinen Artikel mit den Worten: “Wir fragen heute: Wie lange will eigentlich die Frankfurter Anwaltskammer ein solches Mitglied in ihren Reihen dulden?”
IIm letzten Abschnitt von Der SS-Staat, der auch als eigener Artikel unter dem Titel “Gericht und Gewissen” in der ersten Ausgabe der Frankfurter Hefte (1.4.1946) erschien, schrieb Eugen Kogon, das deutsche Volk brauche einen Richter, solange es sein eigenes Gewissen verdränge - sein christliches als Christen, sein menschliches als Menschen. Als obersten Richter sah der überzeugte Christ Kogon dabei Gott, doch Gott zeige sich im Gewissen des Menschen. Trotz seiner negativen persönlichen Erfahrungen auch nach dem Krieg, wo er “Leuten begegnen konnte, die kaltblütig meinten, es wäre wohl besser gewesen, wenn alle ‘Kazetler’ zugrunde gegangen wären” (S. 412), vertraute er auf die Kraft der Wahrheit (siehe rechts).
Robert M. W. Kempner: Ankläger einer Epoche. Lebenserinnerungen / in Zusammenarbeit mit Jörg Friedrich. Frankfurt a.M. (Ullstein) 1983.
Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. München (Kindler), 26. Aufl. (Heyne) 1974/1977 (Vorwort)..
David A. Hackett: Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentraitonslager Buchenwald bei Weimar. München (Beck) 1996, (Beck’sche Reihe) 2002. (Orig.; Boulder / San Francisso / Oxford, Westview Press, 1995). (Unter maßgeblicher Mitarbeit 1945 von Kogon erstellt).
Eugen Kogon: Hessen nach dem Zusammenbruch. Marginalien zum Neuibeginn (1978), in. Hubert Habicht: Eugen Kogon ein politischer Publizist in Hessen. Essays, Aufsätze und Reden zwischen 1946 und 1982. Frankfurt a.M. (Insel) 1982, S. 17-43.
Dennis Beismann: Eugen Kogon in der frühen Bundesrepublik. Ein öffentlicher Intellektueller zwischen Lehrstuhl und Fernsehstudio 1949-1969. Berlin / Boston (de Gruyter / Oldenbourg) 2020.
Helmut König: Kontinuitäten und Diskontinuitäten des Denkens: Politikbegriffe in der deutschen Politikwissenschaft seit 1945, in: Susanne Ehrlich / Horst-Alfred Heinrich / Nina Leonhard / Harald Schmid (Hrsg.): Schwierige Erinnerung: Politikwissenschaft und Nationalsozialismus. Beiträge zur Kontroverse um Kontinuitäten nach 1945. Baden-Baden (Nomos) 2015, S. 37-58.
Torben Fischer / Matthias N. Lorenz (Hrsg.): Lexikon der “Vergangenheitsbewältigung” in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Bielefeld (transcript) 2007. Darin zu Eugen Kogon S. 31-33.
Nicolas Berg: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung. Göttingen (Wallstein) 3. Aufl. 2003.
Walter Mühlhausen: Eugen Kogon - Ein Leben für Humanismus, Freiheit und Demokratie. Hessische Landeszentrale für politische Bildung / / Blickpunkt Hessen Nr. 5/2013.,
Eugen Kogon auf der Webseite der Stadt Königstein:/Ts
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