1a) Publikationen von Prof. Dr. Luise Schorn-Schütte zum Thema:
Geschichte Europas in der Frühen Neuzeit. Studienhandbuch 1560-1789. Paderborn u.a.o.: Schönigh/UTB, 2009.
Die Reformation. Vorgeschichte, Verlauf, Wirkung. München: C.H. Beck (Beck Wissen), 62016.
Politische Kommunikation in der Frühen Neuzeit: Obrigkeitskritik im Alten Reich, in: Geschichte und Geschehen, 32. Jg., H. 3, Juli-September 2006, S. 273-314.
Gottes Wort und Menschenherrschaft. Politisch-Theologische Sprachen im Europa der Frühen Neuzeit. München: C.H. Beck, 2015.
Frau Schorn-Schütte ordnete die Reformation in den historischen Kontext einer Ära des allgemeinen Umbruchs ein, in dem sich religiöse und politische Fragestellungen miteinander verbanden. Im Alten Reich profitierte die religiöse Erneuerungsbewegung von einem Konflikt zwischen Kaiser und Territorialfürsten, die auf Erhaltung und letztlich Erweiterung ihrer Autonomie bedacht waren und mit der konfessionellen Spaltung ihre eigene Macht ausbauen konnen. Kirchenkritik und Reformversuche stehen ihrerseits in einem längeren Kontext, da schon Jan Hus, der 1415 auf dem Konzil von Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, die Ansichten Luthers weitgehend vorweggenommen hatte und Luther selbst sich als sein Nachfolger sah. Auch zu seiner Zeit war Luther nicht der einzige Reformator und die Reformation darf nicht zu sehr auf seine Person hin fokussiert werden.
Dabei ging Frau Schorn-Schütte auch ausführlich auf die verschiedenen Interpretationen Luthers und der Reformation ein. War Luther der “erste moderne Mensch” oder eigentlich noch dem Mittelalter verhaftet? Die Frage lässt sich nicht einfach entweder-oder beantworten. “Reformatio” bedeutete nicht “Revolution”, sondern “Wiederherstellung (des Alten)”, Rückkehr zu den Ursprüngen. Insofern konnte auch ein im Prinzip rückwärtsgewandtes Denken doch etwas Neues bewirken. Das gilt nicht nur für die Religion. Auch die Verteidigung der ständischen Interessen gegen frühabsolutistische Tendenzen, v.a. in Frankreich, zielte auf die Erhaltung der Traditionen bzw. deren Wiederherstelllung, wies damit aber auch einen Weg, auf dem sich die Ständeversammlung im Laufe der Zeit zum modernen Parlament weiterentwickelte, am deutlichsten, und deswegen auch Vorbild, in England.
Auch im Theologischen waren andere Reformatoren innovativer als Luther, dies zeigt sich v.a. im Marburger Abendmahlsstreit, wo sich Zwingli und Luther gegenüberstanden und Luther eher eine konservative Haltung bewahrte (“Realpräsenz” Christi im Abendmahl), während Zwingli “Blut und Leib Christi” nur symbolisch vergegenwärtigt sah. Sicherlich das schwierigste nachzuvollziehende Thema in diesem Zusammenhang. Auch im sozialen blieb Luther, wie man aus seiner heftigen Verurteilung der aufständischen Bauern weiß, eher konservativ und in jedem Fall der Obrigkeit treu. Diese war für ihn natürlich in Person des sächsischen Kurfürsten auch die Obrifgkleit, die ihn beschützte und dadurch sein Wirken erst mölglich machte.
Die verschiedenen historischen Schulen haben Luther und die Reformation stets für eine bestimmte Zielsetzung zu vereinnahmen gesucht, die nationale für eine national-deutsche Geschichte des Kampfes gegen Rom, die marxistische relativierte Luthers Bedeutung, sah in ihm sogar einen Reaktionär weil Diener der Obrigkeit, während er sozusagen nolens volens als Stichwortgeber der Freiheit, die andere anders verstanden, eine Rolle im Rahmen der “frühbürgerlichen Revolution” gespielt habe, die damals jedoch noch scheitern musste. Andere sahen in der Reformation und vor allem im Calvinismus den Keim der Demokratie, dies ist jedoch übertrieben, weil auch die calvinistischen Monarchomachen (“Monarchenbekämpfer”) politisch in ständischen Kategorien gedacht haben (siehe dazu auch weiter unten).
Auf der Fortbildung wurden zwei herausragende didaktische Ausstellungsprojekte vorgestellt, die maßgeblich von Mitgliedern des VHGLL bzw. VGD in Zusammenarbeit für das Hessische Staatsarchiv Marburg bzw. in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche Deutschland realisiert wurden. Ihnen und den betreffenden Institutionen sei an dieser Stelle herzlich dafür gedankt!
1b) Luther und Europa. Wege der Reformation und der fürstliche Reformator Philipp von Hessen.
Ausstellung des Hessischen Staatsarchivs Marburg Konzeption und Redaktion: Justa Carrasco und Reinhard Neebe
Die Ausstellung in 24 Tafeln (roll-ups) kann für Schulen ausgeliehen werden. Die Ausleihe ist umsonst, dafür muss man den Transport selbst organisieren.
>Digitales Archiv Marburg DIGAM
>Download Flyer mit allen Informationen
Zur Ausstellung ist ein Begleitbuch erschienen (siehe Abbildung), Bd. 30 der Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg, Marburg 2015. Preis: 12.-
Für den Unterricht gibt es ferner Arbeitsblätter beim Staatsarchiv Marburg zu bestellen (siehe Flyer).
Außerdem gibt es im DIGAM (siehe oben) eine erweiterte Online-Version der Tafelausstellung von Justa Carrasco und Reinhard Neebe (Hg.).
Die Ausstellung besticht auch durch die Fülle von abgebildeten Originalquellen und zeitgenössischen Bilddarstellungen.
Stationen:
I. Europa um 1500: Die Welt im Umbruch: 1. Mittelalterliche Vorstellungswelten / 2. Neuzeitliches Denken und Humanismus / 3. Luther und seine Vorläufer / II. Ereignis Luther: - 4. Martin Luthers “Thesenanschlag” 1517 / 5. Kaiser und Mönch: Luther und Karl V. in Worms 1521 / 6. Frauen in der REformationszeit / III. Luther und die Anderen - Brüche: 7. Luther und Erasmus / 8. Luther und Thomas Müntzer / Luther, die Türken und die Juden / IV. Der fürstliche Reformator: Philipp von Hessen: 10. Philipp der Großmütige und die Homberger “Reformatio” von 1526 / 11. Reformation und Bildungspolitik in Hessen / 12. Das Marburger Religionsgespräch 1529 / V. Die gespaltene Reformation: 13. Zweige der Reformation / 14. Augsburgische Konfession 1530 und der Schmalkaldische Bund / 15. Regensburg 1541: Letzte Chance eines europäischen Religionsvergleichs? / 16. Die Züricher und Genfer Reformation: Zwingli, Bullinger und Calvin / Ausbreitung der Reformation in Europa: 17. Philipp von Hessen und Europa / 18. Nordosteuropa: Preußen, Baltikum und Polen / 19. Südosteuropa und die Republik Venedig / 20. England und Schottland, Dänemark und Skandinavien / 21. Frankreich und die Hugenotten / 22. Spanien und die Niederlande / VII. Ausblick: Europa nach der Reformation: 23. Der Augsburger Religionsfrieden 1555 / 24. Gegenreformation und Konfessionelles Zeitalter
Siehe auch weiter unten “Zu den Ausstellungen”
1c) Reformation reloaded
Fächerverbindende Unterrichtseinheiten für Geschichte und Evangelische Religion
Ein Gemeinschaftsprojekt des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands mit der Evangelischen Kirche Deutschlands, unter der jeweiligen Leitung von Niko Lamprecht und David Toaspern, und eine Publikation von Impuls-Reformation.de
Es handelt sich hierbei um eine virtuelle Ausstellung und didaktische Website, begleitend dazu gibt es aber auch zehn Ausstellungstafeln als roll-ups. Das gesamte Material gibt es auch als pdf-Download. reformation-reloaded.net (Startseite)
Bild: Reformation reloaded/J.W.Gourlay Reformation reloaded
Neben der virtuellen Ausstellung mit Textquellen und einer intensiven didaktisch-methodischen Einbettung gibt es auch Video- Interviews mit Historikern und Vertretern der EKD.
Inzwischen ist auch eine 246-seitige Printversion erschienen. Das Buch kann man mit genauer Adressangabe über rpi-baden@ekiba.de , Stichwort: Reformation reloaded, Printversion, bestellen. Es kostet 20.- zzgl. 1,80 Versand.
Stationen:
1. Vor der Reformation: 1.1. Papsttum und Kirche im Umbruch / 1.2. Frühe Reformationsbewegungen in der Kirche / 2. Luther selbst / 3. Die Zeit der Reformation (1500-1530): 3.1. Die Zeit / 3.2. Wie die Freiheit in den Glauben kam / 3.3. Frieden 1500-1530 / 3.4. Frauen in der Reformationszeit / 4. Die Anderen / 5. Katholische Reform und Gegenreformation / 6. Auswirkungen der Reformation: 6.1. Reformation heute / 6.2. Bildung und Reformation gehören zusammen
Ein modulübergreifendes Glossar ermöglicht den Zugriff auf Erklärungen.
Siehe auch weiter unten “Zu den Ausstellungen”
1d) Die politische Dimension des Calvinismus: Kritik des Frühabsolutismus
Der Workshop über den politischen Calvinismus auf der Veranstaltung stellte anhand einer Reihe von Quellen die Bedeutung der calvinistischen Monarchomachen, der “Monarchenbekämpfer”, heraus, wie sie damals von ihren Kritikern genannt wurden. Die Auseinandersetzung um die Glaubensfreiheit und die Rechtfertigung des Protestantismus ging einher mit einem politischen Konfllikt, in dem die angestammten Rechte der Stände gegenüber dem Machtanspruch des Königs verteidigt wurden. In Deutschland, im Alten Reich, war dies aufgrund des Wahlkönigtums quasi selbstverständlich und die Konfessionskriege endeten schlließlich mit einer Stärkung der Territorialfürsten in einem cuius regio, eius religio, die konfessionelle Einheit war zerstört. .In Frankreich war die Auseinandersetzung viel härter, weil sich hier schon seit Franz I. ein “Frühabsolutismus” abzuzeichnen begann und einen politischen Widerspruch herausforderte, der den konfessionellen Konflikt bei weitem überstieg. So wurde nicht nur von Jean Bodin in jener Zeit der Absolutismus in seiner Souveränitätslehre theoretisch begründet - übrigens auch aus dem Hugenottenkirieg heraus: der Monarch sollte über allem stehen und dadurch den Frieden garantieren -,, sondern er wurde auch gleichzeitig grundsätzlich in Frage gestellt durch zahlreiche Autoren meist calvinistischer Herkunft, die durch ihre historisch-staatsphilosophischen Überlegungen Grundlagen der Lehre vom Gesellschaftsvertrag und von der Gewaltenteilung legten. Die niederländische Unabhängigkeits- erklärung von 1581 reihte sich in diesen Kontext ein und nahm die Argumentation der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 vorweg.
Von den calvinistischen Autoren weitreichender Bedeutung zu nennen sind v.a.:
Théodore de Bèze: Du droit des magistrats sur leurs sujets (Vom Recht der Obrigkeit über ihre Untertanen), Genf 1575
Stephanus Iunius Bruto Celta / Estienne Iunius Brutus (= Philippe de Mornay / Hubert Languet): Vindiciae contra Tyrannos / De la puissance légitime du prince sur le peuple et du peuple sur le prince (Einspruch gegen die Tyrannen / Von der legitimen Macht des Fürsten über das Volk und des Volkes über den Fürsten), Edinburg 1579 / s.l. 1581
Johannes Althusius (eigtl. Althaus): Politica, Methodice Digesta et Exemplis sacris et profanis (svw. Politik, Regelsammlung und heilige und profane Beispiele), Herborn 1603
Zwei Werke der Sekundärliteratur, ein älterres und ein neues, seien hier genannt:
Laure Wyss (Hg.): Carl Bernhard Hundeshagen: Calvinismus und staatsbürgerliche Freiheit / Hubert Languet: Wider die Tyrannen, , Zollikon-Zürich (Evangelischer Verlag), 1946. Der zweite Teil enthält übersetzte Auszüge aus dem H. Languet zugeschriebenen Werk Vindiciae contra tyrannos, 1579.
John Witte: Die Reformation der Rechte. Recht, Religion und Menschenrechte im frühen Calvinismus, Neukirchen-Vluyn (Neukirchener Verlagsgesellschaft), 2015.
Mehr dazu in Der politische Calvinismus und die Kritik des (Früh-) Absolutismus auf www.geschichtslehrerforum.de/html/calvinismus.html
2. Zu den Ausstellungen Luther und Europa und Reformation reloaded:
Der thematische Horizont beider Projekte folgte der Prämisse, dass das 500jährige Jubiläum des Beginns der Reformation durch den “Thesenanschlag” Luthers nicht nur auf die Person Luthers zentriert, sondern kontextuell auf den europäischen Horizont erweitert werden sollte. Zur historischen Fragwürdigkeit des “Thesenanschlags” selbst heißt es
in Luther und Europa:
Am 31. Oktober 1517 wendet sich der Augustinermönch Martin Luther, ein bis dahin weithin unbekannter Doktor der Theologie zu Wittenberg, in einem Sendbrief an den Erzbischof von Mainz und Magdeburg, Albrecht von Brandenburg. [...] Dem respektvollen Brief an den Erzbischof beigefügt sind jene weltberühmt gewordenen Sprüche vom Ablass, die 95 Thesen. Dass Luther selbst die Thesen mit Hammerschlägen an die Wittenberger Schlosskirche geschlagen habe, ist eher spätere Legende als historische Realität. (hier)
und in Reformation reloaded:
Martin Luther, hoch motiviert und interessiert an einer Disputation über seine Erkenntnisse, verfasste deshalb 95 Thesen, verschickte diese am 31. Oktober 1517 an den Erzbischof Albrecht von Magdeburg und Freunde in ganz Deutschland bzw. schlug diese vermutlich an die Tür der Wittenberger Schlosskirche an. (hier)
Die realen und virtuellen Ausstellungen mit ihren didaktischen Angeboten liefern eine hervorragende Ergänzung zu den Standard- angeboten der Lehrbücher mit Vertiefungsmöglichkeiten, die auch selektiv und individuell genutzt werden können, da sich die Autoren der Problematik bewusst waren, dass das ganze Programm so jeweils nicht im normalen Unterricht verwendet werden kann (allerdings durchaus in Projektwochen usw.).
Auch stellen sich in der Sache selbst Herausforderungen, die nicht alle im Mittelstufenunterricht bewältigt werden können, so gibt es auch besondere Aspekte für die Oberstufe, z.T. auch Dokumente im sprachlichen Original von damals, und in der stärker didaktisierten Reformation reloaded ein ausdifferenziertes Angebot für Sek. I und Sek. II.
Manches bleibt freilich in der Sache schwierig. So wird man als Nicht-Theologie und zumal als Schüler bei der Frage des Marburger Abendmahlsstreits nicht unbedingt schlauer, wenn die Darstellung der Kontroverse sich in Luther und Europa darin erschöpft...
Während Luther und die Wittenberger glauben, dass im Abendmahlsgottesdienst der wahre Leib und das wahre Blut Christi gegenwärtig sind (Realpräsenz), sehen Zwingli und die Reformatoren aus den oberdeutschen Städten (Zürich, Basel, Straßburg) darin ein Gedächtnismahl, das nur im übertragenen Sinne verstanden werden kann. (hier)
... oder der Unterschied zwischen Luther und dem katholischen Verständnis von der Transsubstantiation in Reformation reloaded darin:
Bereits in einem kurz vorher entstandenen Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des heiligen wahren Leibes Christi hat er über die äußeren Zeichen des Abendmahls - Brot und Wein – und ihre Bedeutung geschrieben. Durch den Glauben an Jesus Christus nämlich werden sie für die Menschen zum Leib und Blut Christi und zum Sakrament. Dazu braucht es keine „Wandlung“ (Transsubstantiation) wie es im katholischen Verständnis bis heute gilt. (hier)
Hier sind theologisch-pädagogische Anstrengungen von Nöten, wenn man diesen neben der Trinitätslehre zweifellos schwierigsten Gegenstand der Theologie dem Adressaten näher bringen will. Wer sich dafür interessiert, kann z.B. Wikipedia zum Abendmahlsstreit konsultieren, mit einem historischen Überblick über die Abendmahlstheologie, oder zur Lehre von der Transsubstantiation, wo diese Themen nicht schlecht und bereits anspruchsvoll dargestellt sind..
Ein weiterer heikler Punkt ist Luthers Verhältnis zu den Juden. Hier bringt Luther und Europa eine relativ ausführliche Dokumentation zu Luthers Antijudaismus an seinem Lebensende (v.a. durch Zusatzmaterialien online), deren Kontrastierung mit Luthers positiver Einstellung zu den Juden in der frühen Zeit (allerdings in der Hoffnung, sie würden konvertieren) sowie zur propagandistischen Indienstnahme Luthers im Nationalsozialismus (hier), während Luther reloaded zunächst nur die “Judensau” von Wittenberg präsentiert (hier) und das Dilemma kommentiert:
Eine klare didaktische Perspektive ist nötig, um nicht in den Widersprüchen der Sache stecken zu bleiben und dadurch letztlich jene unreflektierte Art der Ablehnung des Antisemitismus zu unterstützen, die zwar „politisch korrekt“, aber nicht alltagstauglich ist. (hier)
Der Hinweis auf die "klare didaktische Perspektive" ist richtig, doch der Verweis auf eine "unreflektierte Art der Ablehnung des Antisemismus", die nicht "alltagstauglich" sei, lädt geradezu ein zu der Kritik, die man hier kritisiert.
Allerdings gibt es auch Links zu Zusatzmaterialien (Analysen, Sekundärliteratur) zu diesem Thema (hier), die an Klarheit nichts vermissen lassen, darunter die Ausgabe Juli 2014 der Blickpunkte zu “Schattenseite des Reformators” (hier), die ImDialog-Ausstellung “Luthers Sündenfall gegenüber den Juden” (hier) , sowie, auf der Seite Luther selbst, die im Auftrag des wissenschaftlichen Beirates für das Reformationsjubiläum erstellte “Orientierung Die Reformation und die Juden” (hier).
Eine der Sache gerecht werdende Behandlung dieses Themas darf freilich auch nicht nur Luthers späten Antijudaismus für eine generelle Diskreditierung Luthers ausnutzen. Vielmehr wäre auf jeden Fall eine Gegenüberstellung von Luthers ganz anderer Haltung gegenüber den Juden zu Beginn (1523) mit jener extrem negativen am Ende (1543) notwendig, dann eine historische Kontextualisierung von Thema (Antijudaismus) und Kommunikationsformen (Polemik) in jener Zeit: Die Freiheit der Meinungsäußerung und -verbreitung, die der Buchdruck damals brachte, weist eine Analogie zur heutigen Situation auf, die durch das Internet geprägt ist. Viele schriftlichen Äußerungen in den Kontroversen jener Zeit erinnern fatal an die hate speeches in Mails und auf Webseiten heute. Das macht es deswegen nicht besser, sollte aber bei der Suche nach einer Erklärung bedacht werden.
Erwähnt sei hier noch, dass Léon Poliakov in seiner Geschichte des Antisemitismus relatives “Verständnis” für Luthers antijudaistische Pamphlete aufbringt - gemeint ist Verständnis im Sinne von Verstehen, warum, und dazu einige “psychopathologische Erwägungen” unternimmt, die die exzessiv emotionalen Züge in Luthers Charakter im Zusammenhang in den Blick nimmt, v.a. vor dem Hintergrund von Luthers “fortwährender Bedrücktheit durch das Ende der Welt.”, denn Luther war, dies wird selten beachtet, auch ein mittelalterlicher Apokalyptiker .
Léon Poliakov: Geschichte des Antisemitismus, II. Das Zeitalter der Verteufelung und des Ghettos, Worms (Heintz), 1978, S. 119-127. Diese Edition wurde später von Suhrkamp übernommen (hier).
Äußerst verdienstvoll dazu ist: Thomas Kaufmann: Luthers Juden, Stuttgart (Ph. Reclam jun.), 2014, Rezensionsnotizen aus der Presse auf Perlentaucher. Kaufmann analysiert Judes Verhältnis zu den Juden biographisch, theologisch und historisch-kontextuell. “Luthers Altersdepression” (S. 108) wird hier sehr empathisch zur Erklärung des Phänomens der “bösen Schriften” im “Endkampf um die Bibel” (S. 108ff.) herangezogen, ohne deswegen Luther einfach dadurch zu entlasten, vielmehr geht es um Erklärung.
Zum Kontext der “Judenfrage” im Zeitalter der Reformation sei hier auf das gleichnamige Kapitel II der Online-Ausstellung des Digitalen Archivs Marburg, Privilegien, Pogrome, Emanzipation: Deutsch-jüdische Geschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hrsgg. von Reinhard Neebe, verwiesen.
Weiterführende LInks zum Verhältnis zwischen Christen und Juden im Zeitalter der Reformation auch auf der Webseite der AG Deutsch-Jüdische Geschichte des VGD.
W. Geiger (überarbeitet 18.4.2017)
Weiterführende Links und Infos:
Führt das “Lutherjahr” zu einer neuen ökumenischen Initiative?
Luther soll nun versöhnen Das 500. Reformationsjubiläum 2017 wollen EKD und Bischofskonferenz für einen Prozess des „Healing of Memory“ nutzen. von Claudia Keller http://www.tagesspiegel.de/politik/kirche-luther-soll-nun-versoehnen/14559114.html
Luther 2017
Die “offizielle” Website zur Luther-Dekade von der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt http://www.luther2017.de/de/ ist ein Portal rund um Thema und Jubiläumsveranstaltungen.
Die Seite der EKD zum Jubiläum: https://www.ekd.de/reformationstag/
Bereits oben erwähnt: Impuls Reformation http://www.impuls-reformation.de/index.asp Eine Website des Theologisch.Pädagogischen Instituts Moritzburg in Sachsen, mit zahlreichen Materialien zur Geschichte und Informationen zum Jubiläum, und bei der man als Akteur teilnehmen kann.
Unterricht
Aktuell: Praxis Geschichte 6/16, November 2016: Luther und die Folgen (Konzeption: Thomas Kaufmann) Geschichte lernen Nr. 173, Sepot. 2016: Herausforderung Reformation (Konzeption Felix Hinz / Franziska Conrad)
Michael Wermke / Volker Leppin: Lutherisch - was ist das? Eine Unterrichtseinheit für die Sekundarstufe I Göttingen: V&R, 2011. Eine Leseprobe gibt es online
Siehe auch http://www.geschichtslehrerforum.de/html/reformation.html
Wird ergänzt...
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