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Presse OAVO 7.4.2025

Verband Hessischer Geschichtslehrerinnen und -lehrer VHGLL
Geschichte für heute lehren und lernen!

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Frankfurt, den 7.4.2025

Presseerklärung des VHGLL

Entstehung der Bundesrepublik, DDR, Wiedervereinigung
im Fach Geschichte nicht mehr wichtig für das Abitur in Hessen

Neue Oberstufenverordnung des Kultusministeriums
 

Die vorgesehene Novellierung der Oberstufen- und Abiturverordnung (OAVO) durch das Hessische Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen, wie sie den Schulleitungen im November in einem relativ unklaren „Beteiligungsverfahren“ vorab zugegangen ist, sieht vor, dass im Fach Geschichte nicht mehr wie bisher das dritte und vierte Kurshalbjahr (Q3-4) verpflichtend für die Abiturnote mitzählen soll (sog. einbringungspflichtige Kurse), sondern wahlweise „mindestens zwei Kurse“ aus den vier Halbjahren der Qualifikationsphase (Q1-4) im Rahmen von sechs Kursen für alle Fächer im gesellschaftswissenschaftli-chen Aufgabenfeld. (Entwurf OAVO 2025, § 26, Abs. 6.2).

Erstmals wurde unser Verband nicht in das Beratungs- bzw. Beteiligungsverfahren hierzu einbezogen. Nach Protest unsererseits kam es zu einem Gespräch im Ministerium, aus dem hervorging, dass man unseren Bedenken zwar Verständnis entgegenbringt, aber die Entscheidung nicht ändert.

Das hessische Kulturministerium widerspricht sich damit fundamental zwischen seinen Forderungen zur Stärkung der Demokratiebildung und seinem Handeln im ureigensten Verantwortungsbereich.

Es handelt sich nicht um eine nur „formale“ oder „technische“ Frage. Vor allem die Einbringung der Kursnote aus dem 3. Halbjahr in Geschichte für die Zählung der Abiturgesamtnote hatte ihren Sinn und die beabsichtigte Änderung hat daher entsprechend gravierende Folgen.

Die in der Q3 unterrichtete Geschichte Deutschlands und der Welt nach 1945 ist Zielpunkt des gesamten Geschichtsunterrichts, es geht um die Entstehung unserer heutigen Demokratie, die Teilung Deutschlands und seine Wiedervereinigung im Rahmen der weltpolitischen Entwicklung. Das wurde vor Jahr-zehnten entsprechend für das Abitur für alle Schülerinnen und Schüler priorisiert, indem diese Halbjahresnoten im Zeugnis mitzählen, nachdem es zu einer heftigen Auseinandersetzung um den Erhalt der Eigenständigkeit des Faches Geschichte in der Oberstufe gekommen war und deren Erhalt unter Berufung auf die hessische Landesverfassung Art. 56 (5) durchgesetzt werden konnte.

Die Möglichkeit der „Abwahl“ von Geschichte im genannten Sinne im letzten Schuljahr bedeutet, dass dieses wichtigste Thema des Geschichtsunterrichts beliebig wird und den Schülerinnen und Schülern zur freien Wahl steht. Die Wahlfreiheit, mit der dafür argumentiert wird, steht jedoch auch dem unablässig in Land und Bund angemahnten Stellenwert von Demokratiebildung und ihrer Förderung diametral entgegen.

Man kann nicht Demokratiebildung fordern und fördern wollen und den Unterricht über unsere heutige Demokratie für das Abitur zur Beliebigkeit herabstufen: wird überhaupt nicht gewertet, es sei denn, unter den Abiturientinnen und Abiturienten entscheiden sich welche dafür bei ihrem „Nehm‘ ich oder nehm‘ ich nicht“.

Es geht nicht um ein „Privileg“ für das Fach Geschichte, sondern um eine Priorität für die Sache.

Der Verband Hessischer Geschichtslehrerinnen und -Lehrer fordert weiterhin Kultusminister Armin Schwarz auf, diese Entscheidung zu revidieren, die Einbringungspflicht zumindest von Q3 in Geschichte aufrechtzuerhalten und die Demokratiebildung zu stärken.


Weitere Erläuterungen zum Verständnis:

1. Nicht relevanter Unterricht

Das Grundproblem all dessen ist, dass überhaupt nicht alle Halbjahresnoten für die Abiturnote gewertet werden, sondern nur eine Auswahl, mit Ausnahme der Prüfungsfächer. Es ist eine Absurdität an sich, Unterricht besuchen zu müssen, der notenmäßig nicht zählt und für den man nur eine Leistung von einem Punkt (von 15) braucht, damit der Kurs als besucht gilt (notwendig).

Dieses Problem stellt sich auch bei der „Abwahl“ in anderen Halbjahren. Aber im letzten Schuljahr – anders, als wenn man zuvor „pausiert“ – besteht grundsätzlich keine Motivation mehr, in diesem Unterricht irgendetwas für mehr als einen Leistungspunkt zu tun, wenn man mit dem Fach de facto abgeschlossen hat und sich auf die notenmäßig relevanten Fächer und die Prüfungsfächer konzentriert.

2. Das Fach Geschichte in der Schule und die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit

Wenn es um echte oder vermeintliche Defizite an Demokratiebewusstsein unter Jugendlichen geht, damit verbunden auch die Extremismus- und Antisemitismusproblematik, wird ständig an den Geschichtsunterricht appelliert, nie an Politik oder wie das entsprechende Fach in anderen Bundesländern heißt. Was die Geschichte nach 1945 angeht, so zeigen Umfragen auch erhebliche Wissensdefizite zur DDR. Wie auch immer man dies im Einzelnen erklärt und bewertet, am Pranger steht immer der Geschichtsunterricht. Nun kann das Thema DDR in Hessen gleich ganz „abgewählt“ werden.

Und erstmals wird uns auch seit einiger Zeit bewusst, dass die Demokratie, in der wir leben, verteidigt werden muss. Und das Fach Geschichte hat dabei eigentlich die Aufgabe, noch stärker als bisher die Entstehung dieser Demokratie nach 1945 nicht nur zu vermitteln, sondern besonders dafür zu sensibilisieren. All dem würde mit der vorgesehenen Novellierung der OAVO in Hessen in der Breite der gymnasialen Oberstufe regelrecht der Boden unter den Füßen weggezogen. Dieser historische Demokratiebildungsauftrag richtet sich aber an alle Schülerinnen und Schüler, nicht nur an die, die sich von vornherein besonders dafür interessieren.

Frankfurt, den 7.4.2025

Dr. Wolfgang Geiger
Vorsitzender des Verbandes Hessischer Geschichtslehrerinnen und -lehrer e. V. (VHGLL)
 

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