3. Berichte
1. Die Gründung der Republik 1918/19 Dr. Andreas Braune (Jena)
A. Braune stellte zunächst den Blog vom Tagesgeschehen vor, der auf der Website der Forschungsstelle bis zum August 2019 Tag für Tag die Ereignisse 100 Jahre zuvor nachverfolgt. Am Tage unserer Veranstaltung wählten die Soldaten an der Ostfront gerade verspätet ihre Vertreter für die Nationalversammlung, zwei Sozialdemokraten.
Perspektivwechsel in der Forschung zur Weimarer Republik
Die längste Zeit war der Blick auf den Fixpunkt 1933 gerichtet mit der Frage: Wie konnte es dazu kommen? Damit verbunden war die These vom “deutschen Sonderweg” und die Gewissheit, dass sich die Bundesrepublik fundamental von der Weimarer Republik (WR) unterscheide:
“Bonn ist nicht Weimar” nach dem Buch von Fritz René Allemann, denn:mit (vermeintlichen) Verbesserungen im Grundgesetz habe man “Lehren aus Weimar” gezogen, und dies betreffe vor allem die “wehrhafte Demokratie”
Die Fehler der WR lagen demnach vor allem in Fehlentscheidungen zu Beginn (Ebert-Groener-Pakt usw.) sowie in einer Fehlkonstruktion der Verfassung (u.a. Machtfülle des Reichspräsidenten). Entsprechend wurde der “Untergang” der WR teleologisch als unausweichlich aus diesem “Geburtsfehler” (“halbe Revolution”) abgeleitet und kontrafaktisch dazu spekuliert, wie es nicht dazu gekommen wäre.
Mit dem Ende des Kalten Krieges wurde die Weimarforschung entideologisiert, die Erinnerungskultur veränderte sich, der zeitliche und referentielle Abstand wurde größer, ex-negativo-Erfahrungen nun über zwei Diktaturen bezogen, das Provisorium war beendet und nach Winkler der lange Weg nach Westen vollendet. Die Geschichte der WR wird nun stärker nicht mehr vom Ende her sondern “in Fahrtrichtung” nachvollzogen, mit einem offenen Zukunftshorizont für die damaligen Zeitgenossen. Entsprechend wird die Weimarer Geschichte nun als eigenständige Epoche, nicht mehr nur als Vorspiel zu Hitler sondern als Teil der Demokratiegeschichte gedacht, der Blick nicht mehr nur auf die Gegner und Feinde der Republik, sondern auf die Demokraten gerichtet.
Novemberrevolution: Zusammenbruch, Abbruch, Aufbruch?
Andreas Braune erinnerte verdienstvollerweise daran, dass der grundlegende Umbruch zur Demokratie der Novemberrevolution faktisch schon vorausgegangen war durch die Oktoberreformen, mit denen die Mehrheitssozialdemokraten ihr Ziel eigentlich schon erreicht sahen. Mit dem Aufruf des Rats der Volksbeauftragten vom 12.11. wurde dann als erste große Amtshandlung das demokratische Wahlrecht inkl. Frauenwahlrecht für eine Republik proklamiert. Die Zeit der Doppelherrschaft mit den Arbeiter- und Soldatenräten war nur kurz, da der Reichsrätekongress im Dezmeber 1918 mit einer Mehrheit von Anhängern der Mehrheitssozialdemokratie sich für die Wahl einer Nationalversammlung entschied. Umgekehrt bedeutete dies die Radikalisierung der unterlegenden Minderheit.
Die Nationalversammlung trat am 6.2.1919 nicht nur deswegen in Weimar zusammen, weil Berlin noch aufgrund der Unruhen zu unsicher galt, sondern auch, weil man sich bewusst von der preußischen Hauptstadt entfernen wollte und in der Stadt Goethes und Schillers eine andere kulturelle Identifikation verortete. Und dann - ein wichtiger Punkt! - war ja auch die aus der Wahl hervorgehende Weimarer Koalition ein Bündnis aus “antipreußischen” Parteien und ehemaligen “Reichsfeinden”, v.a. was die SPD und das katholische Zentrum betrifft. [Doch auch die linksliberale DDP (ehem. Fortschrittspartei, ab 1884 Freisinnige Partei) stand mit Ausnahme des “Kulturkampfs” stets gegen die kaiserliche Regierung.]
Unter den militärischen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingen und angesichts des faktischen Machtvakuums hatte die Nationalversammlung eine fast unlösbare Aufgabe in kurzer Zeit zu lösen und auch gelöst. Das Gewaltmonopol und die politische Entscheidungshoheit mussten für die neue Regierung wieder hergestellt sowie und die Integrität des Reiches gesichert werden gegen Republikfeinde und Separatisten. Eine neue innere Ordnung musste unter katastrophalen äußeren Bedingungen (Versailler Vertrag) hergestellt werden.
Nationalversammlung
Die Wahl zur Nationalversammlung führte eine regelrechte Demokratisierung der ganzen Gesellschaft herbei, da durch das Frauenwahlrecht und die Herabsetzung des Wahlalters die Zahl der Wahlberechtigten mit 31 Millionen Wählern 20 Millionen höher war als bei der letzten Reichstagswahl 1912.
Am 6. Februar trat die Nationalversammlung in Weimar zusammen, am 11.2. wählte sie Friedrich Ebert zum - zunächst noch provisorischen - Reichspräsidenten, der zwei Tage später Philipp Scheidemann zum Ministerpräsidenten einer neuen Regierung ernannte. Die politischen Herausforderungen, namentlich die Debatte um den Versailler Vertrag, führten zu großen Spannungen und zum zeitweiligen Bruch der Weimarer Koalition, doch wurde der Verfassungsentwurf, der schon am 24.2. von Hugo Preuß vorgelegt worden war, nur mit Änderungen in Details übernommen.
Die Weimarer Verfassung enthält zahlreiche Artikel, auch im Grundgesetzkatalog, die einen umfassenden Sozialstaat begründen. Vieles davon konnte aufgrund des frühen Endes nur ansatzweise oder gar nicht in Gesetzen konkretisiert werden. Nicht wenig davon ist jedoch später von der Bundesrepublik so übernommen worden, z.B. im Wirtschaftsleben, auch auf dem Stinnes-Legien-Abkommen basierend: die Sozialpartnerschaft und Tarifautonomie, der 8-Std.-Tag, der allerdings wieder relativiert wurde und ein Politikum blieb; das Betriebsverfassungs-gesetz 1920, und unabhängig davon auch das Verhältnis zwischen Staat und Kirche.
Das Fehlen eines Verfassungsgerichts analog zum heutigen Bundesverfassungsgericht erzeugte deswegen keine Leerstelle, in vielen Fragen nahm das Reichsgericht de facto eine Stellung als Verfassungsgericht ein, v.a. in der Beziehung zwischen Reich und Ländern. Trotzdem hatte es nicht die mächtige Kontrollfunktion, die heute dem BVG zukommt.
Schlussbemerkungen
Das Weimar-Bild war lange auch von Sebastian Haffner geprägt, ab 1969 kam dann ein neues Interesse an der Novemberrevolution auf, damit auch ihre Infragestellung. War er es eine echte oder eine halbe oder eine verratene Revolution? Vor einigen Jahren bilanzierte daher Alexander Gallus die “vergessene Revolution”.
Die Freikorps sind negativ in die historische Erinnerung eingegagnen, doch gab es auch Freikorps, die als Schutzmacht für die entstehende Republik agierten, in Verbindung mit dem Ebert-Groener-Pakt, der die Reichswehrführung für die parlamentarische Republik gewann. Nicht vergessen werden darf bei alledem, dass die Angst vor einer kommunistischen Revolution wie ein Jahr zuvor in Russland sehr groß war. Dies führte einerseits zur Niederschlagung kommunistischer Aufstandsversuche in Deutschland und zur Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, aber auch zur Unterstützung des Kompromisses, den der sozialdemokratische Weg darstellte.
2. Herausforderungen und Konsolidierung der Republik, 1920-1925 Prof. Dr. Michael Dreyer (Jena)
Michael Dreyer sprach eingangs auch noch einmal die bekannten Bilder der Weimarer Republik zwischen Straßenschlachten und Glamour an. Daraufhin sprach er strukturelle Themen an:
1. Funktionen der Verfassungsordnung
20 Kabinette in 14 Jahren bei 7 Reichstagswahlen erzeugen den Eindruck einer großen Instabilität. Dagegen gab es jedoch eine hohe personelle Kontinuität, doch dass sich nach Kabinettsumbildungen meistens wieder dieselben Minister darin fanden, oft mit Rollenwechseln (v.a. an der Spitze). Eine hohe politische Kontinuität gab dagegen in der Ländern, v.a. im wichtigsten, flächenmäßig und demographisch dominierenden Preußen mit Otto Braun als Ministerpräsidenten. Die Macht Preußens war bedeutsam auch durch seine Polizeimacht (kasernierte Polizei), die zahlenmäßig größer war als die Reichswehr.
Bis 1923 gab es iim Reich faktisch die Weimarer Koalition, dann eine Phase bürgerlicher Koalitionen, ab 1928 eine große Koalition. So gab es im grundsätzlich mehr Stabilität als auf den ersten Blick erkennbar, die Regierungswechsel waren häufig durch außenpolitische Probleme verursacht. Eine neue Regierung kam auch entsprechend schnell wieder ins Amt (durchschnittlich nach 6,1 Tagen).
Vermeintliche Fehler der Verfassung überdeckten lange das faktische Funktionieren der Regierungspoilitik. Man beklagte rückwirkend das Fehlen einer 5%-Hürde, die Machtfülle des Reichspräsidenten (Art. 25 und 48), das negative Misstrauensvotum, das Fehlen eines Verfassungsgerichts.
Die verfassungsrechtiche Stellung des Reichspräsidenten überlagerte dabei in der Wahrnehmung die faktische Stellung im realen politischen Kontext. In “guten Zeiten” war der Reichspräsident schwach, d.h. von der parlamentarischen Mehrheit abhängig, seine Stärke gewann er in Krisenzeiten. Das negative Misstrauensvotum geschah nur zwei Mal, ebenso das Referendum, zudem beide Male gescheitert. Die Einklagbarkeit der Grundrechte gab es nicht in dem Sinne wie heute, für das fehlende Verfassungsgericht hatte aber das Reichsgericht zum Teil ähnliche Kompetenzen.
Anfänglich fokussierten sich die Historiker auf weitgehend eindimensionale Erklärungsversuche für den “Untergang der Weimarer Republik”, so u.a. Bracher auf die Institutionen, Erdmann auf die Personen, einen frühen kapitlismuskritischen Ansatz gab es mit Rosenberg, in den 1970er Jahren kam dann der neomarxistische Ansatz in der Bundesrepublik mit Reinhard Kühnl (“Formen bürgerlicher Herrschaft”).
Ein wesentlicher Aspekt war sicherlich die politische Kultur, deren Defizite die berühmte Karikatur im Simplicissimus von 1927: “Sie tragen die Buchstaben der Firma - aber wer trägt den Geist?” zum Ausdruck gebracht hat. Das politische System ist nach der Analyse vn David Easton eine komplexe Interaktion von Institutionen und Akteuren und kein starres Gerüst. Als Verfassungstheoretiker standen sich damals Hugo Preuß, der die Verfassung entwarf, und der schärfste Kritiker, Carl Schmitt, gegenüber.
Dabei kann die Frage nach der Moderne und Anti-Moderne keineswegs dichotomisch im Sinne von Demokratie und Anti-Demokratie entschieden werden, sowohl die Sowjetunion, als auch der italienische Faschismus und der Nationalsozialismus verkörperten oder förderten Aspekte der Moderne, vor allem im technischen Bereich, so zum Beispiel im Bereich Medien (Radio und Film).
Philosophisch-politrische Kritiker der Weimarer Republik waren damals hoch im Kurs, von Oswald Spengler über Othmar Spann zum bereits erwähnten Carl Schmitt auf der Rechten, aber auch auf der Linken Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky oder George Grosz. In der Aufarbeitung des 1. Weltkiriegs lief jedoch E. M. Remarques Im Westen nicht Neues Ernst Jüngers In Stahlgewittern um Längen den Rang ab.
Der 1. Weltkrieg hinterließ gleichwohl eine “Kultur” der Gewalt, die sich u.a. in den zahlreichen politischen Attentaten, erfolgreichen und misslungenen, darunter auf führende Repräsentanten der Republik in den Anfangsjahren zeigte. Der Rathenau-Mord am 24.6.1922 stellt dabei einen Wendepunkt dar, wo sich die Öffentlichkeit verstärkt zur Republk bekannte und die Regierung mit dem Republikschutzgesetz gegen die rechtsextremen Tendenzen vorging. Hier zeigte sich die Weimarer Republik als “wehrhafte Demokratie”: “Der Freind steht rechts” (Reichskanzler Wirth, Zentrum). Entsprechend wurde auch der Art. 48 von Reichskanzler Ebert zur Verteidigung der Republik eingesetzt. Die juristischen Defizite in der strafrechtlichen Ahndung des Hitler-Putsches lagen in der Zuständigkeit der bayrischen Gerichtsbarkeit, nicht des Reichsgerichts.
3. Die Weimarer Republik aus jüdischer Perspektive Dr. Martin Liepach (Frankfurt)
In einem einführenden Kurzvortrag mit dem Titel „Jüdisches Leben in der Weimarer Republik“ führte der Martin Liepach in die Thematik ein. Dabei bezog er sich schwerpunktmäßig auf die politische Geschichte der Weimarer Republik in den Anfangsjahren. Analysiert man das starke Engagement von Juden in der Revolution, verdienen drei Aspekte Beachtung:
- Zum einem identifizierten sich nicht alle Juden mit dem jüdischen Glauben;
- zum anderen verhielt sich die große Masse der Juden in der Revolution genauso indifferent und passiv wie die Masse der nichtjüdischen Deutschen;
- zum dritten wird die individuelle politische Betätigung von Juden wird nur vor dem Hintergrund der Ausgrenzungsgeschichte gegenüber Juden verständlich.
Die ehemalige Aktivistin des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V), der größten jüdischen Organisation in der Weimarer Republik, und Journalistin Eva G. Reichmann erklärte in einem Vortrag bei der Friedrich-Ebert-Stiftung 1959:
"In den ersten 19 Nachkriegskabinetten bis 1930 waren von 250 Reichsministern 5 jüdischer Abkunft: Preuß (Innen), Landsberg (Justiz), Gradnauer (Innen), Rathenau und Hilferding (Finanz). So sah politisch die sogenannte 'Judenrepublik' aus."
M. Liepach betonte die enge politische Verbindung des Großteils der deutschen an den politischen Liberalismus, insbesondere an die Deutsche Demokratische Partei, später an die Deutsche Staatspartei.
Im Workshopteil beschäftigten sich die Teilnehmer arbeitsteilig mit Materialien und Quellen zu folgenden Themen:
- die Haltung der deutschen Juden in der Revolution 1918
- die weltanschauliche Ausdifferenzierung innerhalb des deutschen Judentums
- dem jüdischen Abwehrkampf gegen den Antisemitismus
- einer Kritik zu Hitlers Ideologie vom Oktober 1923 in der Zeitung des Centralvereins
- dem Kampf des Berliner Vizepolizeipräsidenten Bernhard Weiß gegen nationalsozialistische Gewalt.
Quellen (in Auszügen):
- “Politische Umwälzungen”, Hamburger Israelitisches Familienblatt, 14.11.1918, S. 1.
- “Die Woche”, Allgemeine Zeitung des Judentums, H. 47, 22.11.1918, S. 555f.
- “Die Revolution”, Frankfurter Israelitisches Familienblatt, 10. Jg., Nr. 45, 13.11.1918, S. 1.
- [Jüdische Gemeinschaft und Sozialdemokratie], aus dem Israelitischen Gemeindeblatt Köln, 22.11.1918, zit. nach: Werner T. Angress: Die Juden im politischen Leben der Revolutonszeit, in: Werner E. Mosse / Arnold Paucker (Hrsg.): Deutsches Judentuim in Krieg und Revolution 1916-1923, Tübingen (Mohr), 1971, S. 143.
- Walter Sulzbach: “Die Juden unter den Deutschen”, in: Der Jude, IX. Sonderheft III, S. 5ff.
- “Tendenzrede” gehalten zum 25. Jubiläum der “Sprevia” am 3.11.1918, K-C.-Blätter, 9. Jg., November/Dezember 1919, S. 180.
- Georg Hermann: “Zur Frage der Westjuden”, in: Neue Jüdische Monatshefte, 3. Jg., 10.-25.7.1919, S. 400f.
- Abbildung / Illustriertes Flugblatt des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten (siehe unten)
- Flugblatt im Wahlkampf 1932: “Kampf dem Schlagwort: Ritualmord, Jüdische Internationale, Jüdischer Maxismus, Jüdische Rasse” (FF88-2-341 Jüdisches Museum Frankfurt)
- “Kennen lernen! Zur Bekämpfung antisemitischer Ressentiments”, Abwehr-Blätter - Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus, 38. Jg., 1.10.1928, S. 127.
- Arnold Paucker: “Deutsche Juden im Kampf um Recht und Freiheit, Teetz (Hentrich & Hentrich), 2003, S. 92f.
- [Zwei Faksimilé-Seiten aus der C.V.-Zeitung:] C.V.-Zeitung - Blätter für Deutschtum und Judentum, Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, 11. Jg., Nr. 43, 27.10.1923, Ludwig Holländer: “Hitlers geistige Waffen”, S. 329f.
- Martin Liepach: Mutiger Einsatz für die Demokratie. Der Kampf des Berliner Polizeipräsidenten gegen nationalsozialistische Gewalt in der Weimarer Republik, in: Geschichte lernen 152, “Jüdische Geschichte”, 2013, S. 28-33.mit Quellen.
- Flugblatt des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten
4. Die Weimarer Republik im Film / Filme der Weimarer Republik
Zwischen Dokument und Vorahnung – Das Kino der Weimarer Republik aus der Perspektive von Siegfried Kracauers „Von Caligari zu Hitler“ (1947) Alfons Maria Arns (Frankfurt)
Inwiefern können Spielfilme als historische Quelle gelten? Ein schwieriges Thema, da das künstlerische Medium in seiner Mittlerfunktion nicht die Unmittelbarkeit einer direkten Quelle hat. A. M. Arns bezog sich in seiner Analyse auf den analytischen Ansatz von Siegfried Kracauer in seinem Buch Von Caligari zu Hitler, das zuerst auf Englisch 1947 in den USA erschien und erst viel später, 1979, vollständig auf Deutsch. [1]
Die Frage, inwieweit Kunst gesellschaftliche Entwicklungen dokumentiert oder sogar vorausahnend vorwegnimmt, stellte sich z.B. auch bei der Ausstellung Glanz und Elend in der Weimarer Republik in der Frankfurter Kunsthalle Schirn (2017/18) und wurde dort in den Kommentaren sehr klischeehaft interpretiert, was den politischen Kontext betrifft: Das klassische Narrativ zur Weimarer Republik stellt die Krisenhaftigkeit in den Vordergrund und schlägt meistens einen deterministischen Bogen von der Krise am Anfang zur Krise am Ende. Wenn auch im gesellschaftlich-kulturellen Bereich die Errungenschaften der Moderne betont werden, so nicht im Politischen, vielmehr ergibt sich daraus die Verbindung vom Vorbild der gesellschaftlichen Moderne und dem Mahnmal im Politischen.
Der Film als Teil der Moderne der Weimarer Republik wurde im Rückblick erst spät entdeckt, und zwar sowohl hinsichtlich seiner Wirkung auf die Gesellschaft als auch als dokumentarische Quelle gesellschaftlicher Entwicklungen, in der Wechselwirkung mit anderen Künsten. Der Film als wirkungsmächtiges Medium wurde somit selbst geschichtsvermittelndes und geschichtsprägendes Medium. 1928 gab es 5000 Lichtspielhäuser und Filme waren oft ein Fall für die Zensur, die dieses neue Medium besonders beäugte.
Schon im Zusammenhang mit seiner Studie zur Propaganda und der Nazikriegsfilm von 1942 [2] konstatierte Kracauer zur Vorgeschichte in der Weimarer Republik das Phänomen der Hoffnungslosigkeit nach dem 1. Weltkrieg und generell die inneren Kämpfe als mentale Dispositionen. Im Vorwort von Von Caligari zu Hitler behauptet er, dass „mittels einer Analyse der deutschen Filme tiefenpsychologische Dispositionen, wie sie in Deutschland von 1918 bis 1933 herrschten, aufzudecken sind: Dispositionen, die den Lauf der Ereignisse zu jener Zeit beeinflußten […].“ (S. 7).
Der Film lasse also präfaschistische Dispositionen erkennen und hinter die Kulissen jener Ereignisse blicken, die Hitlers Aufstieg möglich machten. Kracauers Herangehensweise bezog sich auf Psychoanalyse und Sozialpsychologie von Freud und Fromm. [3] Der Verfall politischer Systeme lasse sich auf den Verfall psychologischer Systeme zurückführen.
Gestützt wird dieser Ansatz durch das Medium Film selbst: durch den Kollektivcharakter der Produktion und die Anonymität des Adressaten, die Masse. Kracauer erkannte hierin die Möglichkeit, die Mentalität einer Nation aufzuspüren, wobei er in Abgrenzung zur Völkerpsychologie diese mentale Disposition historisch und soziologisch begründete: Ängste und Hoffnungen nach dem 1. Weltkrieg, die besondere Mentalität der Mittelschicht, die Kracauer schon 1928/29 in seiner Studie oder eher Reportage Die Angestellten untersucht hat [4].
Bekanntermaßen kamen die Wähler Hitlers am stärksten aus den Mittelschichten, deren mentale Disposition durch Abstiegsängste gekennzeichnet war, eine geistige Verlassenheit, die zu ressentimentgeladenen, emotionalen Fixierungen führte statt zu einer adäquaten Einschätzung der realen Lage; infolge einer politischen Unreife, gekennzeichnet durch ein Minderwertigkeitsgefühl gegenüber der Bourgeoisie und eine ambivalente Loyalität zur Feudalschicht. Ihre Vorstellungswelt ist, mit Walter Benjamin in seiner Rezension von Kracauers Die Angestellten gesprochen, „eine einzigartige Überblendung der gegebenen ökonomischen Wirklichkeit, die der des Proletariers sehr nahe kommt, durch Erinnerungs- und Wunschbilder aus dem Bürgertum.“[5]
Dieser psychologische Faktor werde von den Historikern außer Acht gelassen, erklärte Kracauer und legitimierte damit auch seinen Ansatz, und heute kann man sagen: Wird das empirische Faktum der Mittelschichtwähler der NSDAP von den Historikern berücksichtigt, so tut man sich in der historischen Wissenschaft mit nicht materiell greifbaren Aspekten naturgemäß auch weiterhin schwer.
Die Frühzeit des deutschen Films, z.T. noch in der Kaiserzeit bzw. während des 1. Weltkriegs, zeugt von bemerkenswerten dunklen Angstphantasien im Rückgriff auf die Stoffe der Schwarzen Romantik in den Filmen von und mit Paul Wegener, so Der Student von Prag 1913, die Golem-Filme 1915-1920, und Homunculus 1916 von Otto Rippert.
Die Entstehung der UFA ist übrigens auch mit dem Krieg verbunden, da sie von Ludendorff für die deutsche Filmpropaganda ins Leben gerufen wurde.
Im Folgenden ging Arns auf die Thematisierung von Autorität / Verführung in berühmten Stummfilmen der frühen Weimarer Republik ein. In Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari von 1920 geht es um Autoritätssucht, Befehl und Gehorsam, nach Kracauer eine Grundstruktur vieler Filme der Weimarer Zeit, sowie auch die zwischen Tyrannei und Chaos irrende Seele. Kritik und Verehrung der Autorität, wie auch Vernunft und Wahnsinn, zeigen sich dabei meist in einer kaum auflösbaren Ambivalenz. Ein Jahrzehnt später sollte sich dies analog in der Politik zeigen. Der Rückzug auf das Studio unterstreicht dabei die Verinnerlichung im Reich der Seele, nicht umsonst spielt die Psychologie / Psychoanalyse hier – wie auch bei Dr. Mabuse – eine wichtige Rolle.
Kracauer bestritt auch den Revolutionscharakter des politischen Umbruchs 1918/19, da die Entmachtung der Befehlshaber innerhalb der Führung selbst erfolgte, die Mehrheits-SPD war vom Matrosenaufstand vollkommen überrascht. In zwei Filmen, Madame Dubarry von Ernst Lubitsch 1919, und Danton von Dimitri Buchowetzki 1921, wurden revolutionäre Bestrebungen (im erstgenannten Film weitgehend erfunden) als fragwürdige Abenteuer von Individuen und ihrer Leidenschaften erklärt, denen die Massen willenlos folgen. „Diesem Film zufolge“, schrieb Kracauer über Danton, „sind die Massen ebenso verachtenswert wie ihre Führer.“ (S. 17). Daraus spricht ein gewisser Nihilismus gegenüber dem politischen Geschehen.
Die Mabuse-Filme von Fritz Lang, basierend auf den Romanen des deutsch schreibenden Luxemburger Schriftstellers Norbert Jacques und dem Drehbuch von Thea von Harbou, reihen sich in diese Konstellation der Verführung ein. Im ersten Film, Dr. Mabuse, der Spieler, in zwei Teilen 1921/22, wird Dr. Mabuse, Arzt und Psychoanalytiker, als Super-Verbrecher, Illusionist und Hypnotiseur gezeigt, der die Menschen nach seinen Wünschen manipuliert. Das dunkle, rätselhafte Un- bzw. Unterbewusste jenseits des Verstandes wird somit selbst zum Thema, wie auch Szenen des Films einen Film im Film (Kino) zeigen, wo sich die Ebenen zwischen Illusion (Film) und Realität (Publikum im Saal) vermischen. Der Film setzt hier seine eigene Macht der Illusion (Perfektionierung des Illusionstheaters) in Szene.
Einen deutlich politischen und antisemitischen Zug hat laut Arns der erste Filmteil in der Szene, als Mabuse, im Börsensaal vor einer dorischen Säule stehend zusieht, wie durch seine kriminellen manipulativen Machenschaften die Kurswerte einer Aktie sich rasant von der Baisse zur Hausse entwickeln und er durch punktgenauen Kauf und Verkauf davon profitieren kann. Dieses Bild konnte der Zuschauer schon damals als Anspielung auf Nathan Mayer Rothschild (1777-1836) verstehen, der als „Mann an der Säule“ oft genug karikaturistisch in Satireblättern des frühen 19. Jahrhunderts abgebildet worden war. Hier im Film dient diese Anspielung dazu, Mabuse als jüdischen Börsenmakler zu markieren.[6] Im Nazi-Film Die Rothschilds - Aktien auf Waterloo wurde dies 1940 noch einmal nachdrücklich inszeniert.
In der Diskussion darüber ging es um die Frage der interpretatorischen Eindeutigkeit. War der antisemitische Aspekt eine absichtliche oder unbewusste Anspielung? Wurde sie vom durchschnittlichen Zuschauer verstanden? Wie generell beim Thema Antisemitismus in Bezug auf die imaginierte Geldgier der Juden, angefangen beim Mythos des jüdischen Geldverleihers im Mittelalter, spielt das antisemitische Ressentiment auch mit einer allgemeinen Abneigung gegenüber der Finanzwelt, deren Geldgeschäften man einen strukturellen Betrugscharakter unterstellt. Insofern erscheint der jüdische Börsenspekulant nur als die Spitze einer quasi kriminellen Welt, aber eben der Böseste unter den Bösen.
5. Die Republik als Normalfall, 1925-1930 Dr. Andreas Braune (Jena)
Nach der Überwindung der Krisen des Jahres 1923 konsolidierte sich die Republik, mit dem frühen Tod Friedrich Eberts und der darauf folgenden Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten etablierten sich die republikanischen Institutionen eher als “Normalfall”, als dass es einen “Kipppunkt” des Republik gab.. Die Wahl Hindenburgs offenbarte allerdings auch die Problematik der Auffächerung des Parteienspektrums und die Uneinigkeit der demokratischen Mitte. Deren Kandidaten Braun (SPD), Marx (Zentrum) und Hellpach (DDP) vereinigten im 1. Wahlgang zusammen mehr Stimmen auf sich (13 258 629) als Jarres (DVP). Thälmann (KPD) und Ludendorff (extreme Rechte) zusammengenommen (12 574 266). Dazu kam noch der Kandidat der BVP, der bayrischen Abspaltung vom Zentrum, Held (1 007 450). Der Rückzug von Karl Jarres zugunsten der Kandidatur Hindenburgs im 2. Wahlgang ermöglichte eine Mobilisierung auf der Rechten, die die BVP auf ihre Seite zog, und angesichts der aufrecht erhalten Kandidatur Thälmanns konnte Hindenburg im 2. Wahlgang mit 48,3% gegen Marx (45.3%) und Thälmann (6.4%) siegen.
Die nächsten fünf Jahre übte Hindenburg jedoch sein Amt loyal zur Verfassung aus. Im Jahr zuvor hatte die SPD bei der Reichstagswahl 1924 wieder als stärkste Partei abgeschnitten (26%), blieb aber in der Opposition, da sie nach der Rückkehr der nach der KPD-Gründung übrig gebliebenen USPD-Mitglieder in die Mehrheitssozialdemokratie einen Linksruck erfuhr und nicht in eine Koalitionsabhängigkeit mit den Bürgerlichen geraten wollte. Bei der nächsten Reichstagswahl 1928 legte sie weiter zu und bekam mit 29,8% eine unumgehbare Führungsrolle, so dass sie von Hindenburg mit Reichskanzler Hermann Müller an die Spitze einer neuen, großen Koalition berufen wurde. Die beiden folgenden Jahre brachten die längste Regierungszeit der kurzlebigen Kabinette.
In dieser Zeit kam auch ein weiteres Verfassungsprinzip zur Geltung, nämlich der Volksentscheid, der von den Rechtsextremen gegen den Young-Plan angestrengt wurde. Die Verfassung sah dafür allerdings hohe Hürden vor, so ein doppeltes Quorum nach einem erfolgreichen Volksbegehren, nämlich >50% Zustimmung von >50% Teilnahme beim Volksentscheid. Dies kam jedoch bei weiterm nicht zustande, für die Gegner reichte es, zuhause zu bleiben: Teilnahme:14,9% der Wahlberechtigten. Zuvor war auch schon der von SPD und KPD angestrengte Volksentscheid zur Fürstenenteignung gescheitert, und dasselbe sollte später noch einmal mit dem Volksbegehren der KPD gegen den Bau des Panzerkreuzers A geschehen.
Entgegen der später in der Bundesrepublik als negatives Vorbild charakterisierten plebiszitären Komponente der Weimarer Verfassung hatte sich diese damals genau genommen bewährt, hob Andreas Braune hervor, weil sich die Wahlberechtigten keineswegs emotionalisiert als Stimmvieh missbrauchen ließen. Die Kampagne gegen den Young-Plan ermöglichte allerdings der extremen Rechten, darunter v.a. der wiedergegründeten NSDAP, eine Agitationsmöglichkeit gegen die Regierung.
Eine wichtige Komponente des politischen Alltags waren die “Kampforganisationen” der Parteien. Der Stahlhelm wurde als Verband der Kriegsveteranen (“Bund der Frontsoldaten”) bereits 1918 gegründet und war mit der DNVP verbunden, die SA 1921, der Rotfrontkämpferbund der KPD 1924, ebenso wie im selben Jahr das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, das überparteilich das Spektrum der Weimarer Koalition abbildete und wesentlich die Gedenk- und Festkultur der Republik prägte. Entgegen der Wahrnehmung, v.a. im Nachhinein, hatte das Reichsbanner dreimal so viele Mitglieder wie SA und Rotfront zusammen, trat aber als Saal- und Veranstaltungsschutz von SPD, Zentrum und DDP nicht so militant oder gar gewalttätig auf.
Auch gab es einen Republikanischen Richterbund, eine Vereinigung Republikanische Presse und andere Organisationen, die aktiv für die Republik eintraten. Eine Reihe staatlicher Behörden waren Vorbilder für die Bundesrepublik, so die Reichszentrale für Heimatdienst, aus der über verschiedene Zwischenetappen 1963 die Bundeszentrale für politische Bildung hervorging, oder die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft sowie der Akademische Austauschdienst, Vorläufer der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes.
Die Bildung demokratischer Staatsbürger war auch in Art. 148 der Weimarer Verfassung festgelegt, mit Richtlinien für das Schulwesen und das zu fördernde Volksbildungswesen. Das gleiche gilt für die Arbeitsvermittlung und die 1927 eingeführte Arbeitslosenversicherung, das Arbeitsrecht und das 1927 gegründete Reichsarbeitsgericht in Leipzig.
Kontinuiäten zwischen Weimarer Repubik und Bundesrepublik gibt es noch in anderen Bereichen, so im Verkehrswesen von der Deutschen Reichsbahn zur Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Lufthansa, und im Bereich des Rundfunks, wo die Vorläufer der heutigen Rundfunkanstalten gegründet wurden (z.B. WDR 1926).
Die Weimarer Verfassung und die sich daran anschließenden politisch-gesellschaftlichen Gesetzesinitiativen und Verwaltungsmaßnahmen enthielten somit ein breites Demokratisierungs- und Modernisierungsversprechen, das sich auch wesentlichen Impulsen der Revolution verdankte. Die unzulängliche Umsetzung war durch die kurze Zeit der Konsolidierungsphase bedingt, erhielt aber ein Potenzial, das der Republik ein ganz anderes Gesicht gegeben hätte, als es dann in der rückblickenden Wahrnehmung geprägt wurde.
6. Staatsstreich auf Raten: Die Zerstörung der Republik, 1930-1933 Prof. Dr. Michael Dreyer (Jena)
Einleitend stellte Michael Dreyer fest, dass der Begriff “Untergang der Weimarer Republik” bereits eine tendenziöse und unberechtigte Wertung enthält, als sei sie einer Naturkatastrophe oder ähnlichem zum Opfer gefallen. Auch andere Begriffe wie “aufgelöste Repubik” (Bracher, 1955), “verratene Republik” (Hoegner, 1958), “Republik auf Zeit” (Ruge, DDR, 1969), “ungeliebte Republik” (Michalka/Niedhardt, 1980), “überforderte Repubik” (Büttner, 2008) oder “glücklose Republik” (Spiegel, 2008) träfen die relativ einfache Wahrheit nicht: Tatsächlich wurde sie mutwillig zerstört.
In einer weiteren einleitenden Bemerkung stellte Herr Dreyer fest, dass die Weimarer Republik faktisch eine Leerstelle in den Erinnerungsorten von Etienne François und Hagen Schulze ist, weil dort nur sechsmal indirekt erwähnt (z.B. “Versailles”, “Walther Rathenau”). Sie hat es nicht in den Erinnerungshaushalt der Deutschen geschafft.
Da die Weimarer Reublik bislang überwiegend vom Ende her gedacht wurde, unterliege sie in der rückblickenden Wahrnehmung dieser quasi physikalischen Naturgesetzlichkeit hin zum “Scheitern” oder zum “Untergang”.
In der damaligen Zeit wurde das ganz anders wahrgenommen, so gab es einen Umkehrtrend in den Medien für den Nationalsozialismus nach der Novemberwahl 1932, als die Partei 4,2% der Stimmen gegenüber der Juliwahl verlor und finanziell vor dem Ruin stand. Auch war Ende 1932 der Höhepunkt der Wirtschaftskrise überwunden und sie hatte immerhin das Ende der Reparationen gebracht.
Dennoch wird die WR meistens von ihrem Untergang her gedacht. So appelliert auch der Thüringer Lehrplan für die Jgst. 9/10 zwar, “Chancen und Belastungen der ersten Demokratie in Deutschland” zu analysieren, listet aber unter den zentralen Inhalten vor allem die zweitgenannte Komponente auf:
- Entstehungsbedingungen
- Die Repubik zwischen Selbstbehauptung und Niedergang (Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur)
- Mentalitäten - “Republik ohne Republikaner”
- Ideologie und Aufstieg des Nationalsozialismus
Auch gehe es darum, die Entwicklung Deutschlands im internationalen Kontext zu sehen. Antidemokratische Entwicklungen, Faschismus und Bolschewismus, waren ein europaweites Phänomen, lediglich die alten Demokratien blieben stabil.
Der Umschlag in Deutschland verdankt sich sowohl strukturellen als auch personalen Faktoren, auch gab es eine Verkettung unglücklicher Umstände. Hindenburg spiele seine Rolle zunächst loyal, die Veränderung zeigte sich dann schon im Auftreten im Wechsel von der zivilen Kleidung zur militärischen am Ende. Auch der Flaggenstreit Schwarz-Rot-Gold gegen Schwarz-Weiß-Rot 1926 hatte hohe bereits symbolische Bedeutung. Hindenburg mischte sich bis 1930 jedoch nicht in die Politik ein. Seine Wahl bedeutete auch keine grundlegende politische Trendwende, auf die Hindenburgwahl 1925 folgte ein fulminanter Sieg der SPD bei der Reichstagswahl 1928 und eine von ihr geführte Regierung.
Die Ernennung Brünings zum Kanzler nach dem Bruch der Großen Koalition im Frühjahr 1930 mit der Konzeption einer Regierung unter Verzicht auf eine parlamentarische Unterstützung und stattdessen auf der Basis von Notverordnungen qualifizierte Prof. Dreyer als faktischen Staatsstreich. Mit dem Übergang zu Papen am 1.6.1932 war dann nicht einmal mehr ein grundsätzlich demokratisch gesinnter Kanzler (kurzfristig) an der Regierung ohne jede Mehrheit. Mit der Aufhebung der SA- und SS-Verbots am 14.6. zeigte sich auch die politische Wende, es folgte der Preußenschlag, gegen den zwar Klage eingereicht wurde, gegen den es aber keinen militanten Widerstand gab. Als die Kläger Recht bekamen, war es zu spät.
Der Staatsstreich auf Raten erfolgte in fünf Etappen:
- 30.3.1930: Ernennung Brünings zum Kanler <> Parlamentarismus
- 1.6.1932: Ernennung von Papens zum Kanzler <> Demokratische Regierung
- 14.6.1932: Aufhebung des SA/SS-Verbots <> Innere Sicherheit
- 20.7.1932: “Preußenschlag” <> Föderalismus
- 30.1.1933: Ernennung Hitlers zum Kanzler <> Verfassungsstaat
Die Weimarer Republik war kein “failed state” nach den heute gültigen Kritierien. Die strukturellen Defizite der Weimarer Republik lagen nicht in einer Distanz zur Demokratie in der Bevölkerung oder undemokratischen Institutionen, sondern am Mangel einer demokratischen Elite. Die Wahlergebnisse zeigten bis 1932 demokratische Mehrheiten und sogar einer stärkere Linke als Rechte.
In der Situation zur Jahreswende 1932/33 wurde Hitler wegen seiner oben beschriebenen Schwäche zum Kanzler ernannt. Die von den Konservativen beschriebene Vorstellung, Hitler für sich einspannen zu können, war damals sicher ernst gemeint. Dann spielten auch die genannten unglücklichen Verkettungen von Umständen eine wichtige Rolle, vor allem der Reichstagsbrand.
7. „Glanz und Elend in der Weimarer Republik“ – Das Digitorial der Kunstausstellung als didaktisches Angebot. Dr. Wolfgang Geiger (Frankfurt)
Von der Kunstausstellung “Glanz und Elend in der Weimarer Republik” in der Frankfurter Schirn (27.10.2017-25.2.2018) gibt es noch eine Präsenz im Web, die im Unterricht genutzt werden kann, das “Digitorial”, verbunden mit einer kurzen Video-Präsentation (5:33).
Für eine Integration in den Unterricht empfiehlt sich auch die Anschaffung des Katalogs (z.Z. vergriffen, 19.4.2019) für die Schule. Auch die Auswahl des Digitorial erlaubt eine fächerverbindende Annäherung an die Weimarer Republik in enger Verknüpfüng von Kunstgeschichte und politischer Geschichte, auch und gerade zur Rolle der Frau als Gegenstand der Kunst und durch Künstlerinnen.
Wir beschränken uns hier auf Aspekte der politischen Geschichte, wie sie in kontextuellen Erklärungen im Digitorial und z.T. auch im Katalog existieren.
Zunächst soll hier eine zusammenhängende kritische Beurteilung nach dem Besuch der Ausstellung erfolgen, anschließend kommen noch einmal einzelne Aspekte aus Digitorial und Katalog zur Sprache.
„Glanz und Elend der Weimarer Republik“ Die Wahrnehmung der Weimarer Republik durch den Spiegel der Kunstausstellung
Im Folgenden geht es um die Wahrnehmung und Darstellung der Weimarer Republik von ihrer politischen Seite her in den Kommentaren in Verbindung mit einzelnen Kunstwerken.
Gleich zu Beginn heißt es zum Bild „Weimarer Fasching“ von Horst Naumann: „In den Werken scheinen die Künstler das unaufhaltsame Scheitern der ersten demokratischen Regierung Deutschlands vorausgeahnt zu haben, lange bevor die Katastrophe tatsächlich eintrat.“ Naumanns Bild zeigt ein Kaleidoskop der Gesellschaft um 1928/29 mit der großen Figur eines in der Mitte, die ein Soldat sein könnte, wenn sie nicht einen roten Anzug anhätte, da sie einen Helm trägt, auf dessen Helm ein Hakenkreuz in schwarz-weiß-roter Farbe abgebildet ist. Die „Vorahnung“ bezieht sich natürlich hierauf. Ist es eine Ankündigung des nationalsozialistischen Siegeszuges? Zu jenem Zeitpunkt war die NSDAP nur mit 2,6% im Reichstag vertreten, die extreme Rechte insgesamt, d.h. mit der DNVP, stand auf ihrem Tiefpunkt in der Geschichte der Republik, die Linke – allerdings verfeindet – hatte 1928 einen bedeutenden Wahlsieg eingefahren, der eine große Koalition unter Kanzler Müller (SPD) brachte. Nach ihrem Anfangserfolg zu Beginn der Weimarer Republik stand die SPD auf einem neuen Höhepunkt, die Weltwirtschaftskrise hatte noch nicht begonnen bzw. noch nicht Deutschland erreicht.
Dieses Thema der Vorahnung am Anfang des Digitorials steht in Verbindung mit dem Ende, wo dies an Bildern von Georg Scholz aus den frühen zwanziger Jahren noch einmal zur Sprache kommt. Im „Geheimtipp“ heißt es zu Georg Scholz‘ Bild „Vaterländische Erziehung“ von 1923, dass der Künstler seiner Zeit weit voraus war. „Hätten Sie erwartet, dass viele Künstler so früh ahnen konnten, was erst Jahre später konkrete Gestalt annehmen sollte?“ wird der Leser gefragt. Auf dem Bild stehen Soldaten um einen Offizier in Uniform, hinter denen Hakenkreuzfahren wehen. Der Offizier ist dabei, eine Handgranate zu entschärfen. Ein Bezug zu den Freikorps und Putschversuchen von rechts, von denen der Hitler-Ludendorff-Putsch 1923 der letzte war? In der F.A.Z. vom 27.10.2017 nahm Stefan Trinks diesen Impuls auf mit Bezug auf ein anderes Bild von Georg Scholz, „Im Café (Hakenkreuzritter)“ von 1921, das in der Ausstellung auch zu sehen war (nicht auf dem Digitorial). Wie im Digitorial unmittelbar vor dem „Geheimtipp“, wo kritisiert wird, dass die Weimarer Republik „oft zu fatalistisch gedeutet“ wird („Epoche von Bedeutung“), leitet auch Trinks seinen Artikel ein: „Die Weimarer Republik wird meist, ungerecht, von ihrem Ende her gesehen.“ Um dann aber, analog zum Digitorial mit seinem „Geheimtipp“, fortzufahren: „Allerdings nimmt man mit Erstaunen wahr, wie hellsichtig Künstler bereits seit 1921 ihren Bildern immer wieder das Hakenkreuz als Menetekel einschrieben. Georg Scholz malte früh „Hakenkreuzritter“ im Café.“ Ahnte Scholz 1921 die spätere „Machtergreifung“ der Nazis? Diese Sicht folgt genau dem, was die Autoren dieser Kommentare kritisieren: Es ist eine fatalistische Sicht, die Weimar vom Ende her sieht und interpretiert – und zwar falsch.
Zum einen war das Hakenkreuz ursprünglich kein exklusives Symbol der NSDAP, die Nazis haben es dann nur für sich vereinnahmt. Schon zuvor ein Symbol völkisch-nationalistischer Kreise, wurde es im Bürgerkrieg von den konterrevolutionären Freikorps in weißer Farbe auf die Militärfahrzeuge gemalt und galt als Zeichen der Weltkriegssoldaten, die sich gegen den „Verrat“ durch die „Novemberverbrecher“ auflehnten.
Diese Einstimmung auf ein vorhersehbares und angeblich von aufmerksamen Zeitgenossen / Künstlern auch vorgesehenes Ende der Weimarer Republik stimmt den Besucher von vornherein auf das Klischee der “zum Scheitern verurteilten” Republik ein, ergänzt durch den Aspekt, dass es voraussehbar war, was wiederum einen Vorwurf an all jene suggeriert, die es nicht erkannten.
Dass Georg Scholz 1923 nur einen kuriosen Zeitgenossen karikierte und keineswegs eine Gefahr für die Zukunft, geht aus dem Briefwechsel des Künstlers hervor, der jüngst ediert wurde. So schreibt er in einem Brief an George Grosz vom 11.5.1923, dass es in seiner badischen Heimat “weder tatsächliche Kommunisten noch tatsächliche Nationalsozialisten gibt.” - “Wollte ich, ohne sie gesehen zu haben, Münchener Nationalsozialisten malen, so würde das Phantasterei bei mir werden [...].” Dies war noch vor dem Hitlerputsch, aber zwei Jahre nach seinem “Hakenkreuzreitter im Café”, der tatsächlich nicht wie ein typischer Nazi aussieht. Vielmehr war Scholz auf das Symol des Hakenkreuzes (siehe oben) und eine dahinter stehende politische Einstellung aufmerksam geworden, mehr nicht, die “Machtergreifung” wurde noch nicht vorausgesehen - im Gegenteil. Weiter schreibt er in seinem Brief an Grosz, dass die Nazis aus seiner Sicht nur in Berlin und München eine gewisse Rolle spielen, aber nicht in der Fläche, wo er eine “passive Resistenz des spießbürgerlichen übrigen Deutschlands” gegen all die aufständischen Aktivitäten sieht, mit Bedauern übrigens, da Scholz selbst eher kommunistisch orientiert und zeitweilig auch Mitglied der KPD war . “Die Hitlerei übrigens würde m.E. ebenso an der ‘passiven Resistenz’ dieses Spießer-Deutschlands scheitern” - dies ist eine eindeutige Ansicht!
Einige Aspekte im Einzelnen:
Alles hat seinen Preis (Digitorial) “Große Teile der Bevölkerung lebten in bitterer Armut. [...] Die Weltwirtschaftskrise verschlimmerte die Situation weiter.” Hier wird in Bogen sozialen Elends von den Folgen von Krieg und Inflation zur Weltwirtschaftskrise geschlagen, der, wie auch häufig andernorts, die WR als durchgängig von Krisen beherrscht darstellt.
Abschiedvom Kaiserreich (Digitorial) “Kann eine Monarchie reibungslos in die Demokratie übergehen? [...] Die Deutschen hatten keinerlei Erfahrung mit der neuen Regierungsform.” Hier wird der Topos der mit der Demokratie unerfahrenen und damit nicht mit ihr zurechtkommenden deutschen Bevölkerung bedient. Wenn das Kaiserreich zwar keine Demokratie gewesen war, so auch keine Diktatur, demokratische Erfahrungen gab es auch dort in vielfältiger Weise und der Aufstieg der SPD bei den Reichstagswahlen ist dafür ein beredtes Zeugnis. “Dem einfachen Bürger wurden die Vorteile der Demokratie unzureichend vermittelt. Mit jeder weiteren Wahl vergrößerte sich der Zustrom zu den radikalen Parteien.” Schlichtweg falsch, siehe Reichstagswahlergebnisse: Die beklagte fehlende Vermittlung der Demokratie von oben zeugt überdies von einer höchst zweifelhaften Auffassung von Demokratie. Hatte nicht gerade eine Revolution stattgefunden?
Demokratie auf parlamentarischer Basis (Digitorial) Hier wird immerhin zugestanden, dass 1919 “die erse parlamentarisch-demokratische Verfassung” verabschiedet wurde, “es herrschte klare Gewaltenteilung.” Doch zum Ende der WR heißt es schlicht falsch: “Die Weimarer Verfassung blieb auch nach 1933 in Kraft [...]”
Gewinner und Verlierer (Digitorial) “Die Demokratie stand von Anfang an auf wackligen Füßen [...]” - das klassische Klischee. Von Anfang an heißt: dauerhaft, nicht nur am Anfang, was ja zutreffend gewesen wäre.
Düstere Vorzeichen (Digitorial)(1) / Bilder vom Unbehagen einer Epoche (Ingrid Pfeiffer, Katalog, S. 26)(2) Geheimtipp (Digitorial)(3) “In vielen Werken spürt man eine Anspannung und zuweilen eine Bedrohung, die eine grausige Vorahnung vom Nationalsozialismus geben.”(1). “In manchen Arbeiten erweisen sich die Künstler als Propheten kommender Ereignsse.”(2). Georg Scholz war seiner Zeit voraus. Wie weit? [...] Hätten Sie erwartet, dass viele Künstler so früh ahnen konnten, was erst Jahre später konkrete Gestalt annehmen sollte?”(3) Diese mehrfach genannten Interpretationen beziehen sich hier auf George Grosz und Georg Scholz. Zu Scholz siehe oben im zusammenhängenden Kommentar. Für beide Künstler gilt, dass sie 1921/1923 Phänomene des Augenblicks festhielten, keine Prophezeiungen der Zukunft.
Epoche von Bedeutung (Digitorial) Hier findet man wieder eine Bewertung, die konträr zum anderen - und sehr richtig - zum Rückbblick auf die WR schreibt: ”Die Weimarer Republik wird im Rückblick oft zu fatalistisch gedeutet: Die inneren und äußeren Lasten hätten die Republik von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ist es aber nicht zu einseitig, die Geschichte nur vom Ende her zu lesen? [...]”
Stefan Trinks: Wie nah und fern uns diese Zeit doch ist, FAZ. 27.10.2017 Das Paradox einer ganz widerprüchlichen Bewertung im Sinne der genannten Gegensätze kam in dem Aritkel von Trinks zur Ausstellung der Schirn in zwei Sätzen zum Ausdruck: “Die Weimarer Republik wird meist, ungerecht, von ihrem Ende her gesehen. Allerdings nimmt man mit Erstaunen wahr, wie hellsichtig Künstler bereits seit 1921 ihren Bildern immer wieder das Hakenkreuz als Menetekel einschrieben.” Und er interpretiert weiter: “Deutlich wird: Das Unheil naht früh von allen Seiten; es ist unabhängig vom Stand und kriecht aus der Provinz ebenso wie aus der Großstadt.” Dies steht besondes in diametralem Widerspruch zu dem, was wir z.B. von Georg Scholz selbst wissen (siehe oben, zusammenhängende Darstellung), und zeigt auf eklatante Weise, wie sich Geschichtsdeutung durch den Betrachter bildet.
Milan Chlumsky:Eine Mahnung an alle Europäer, RNZ 5.12.2017 Ein weiterer Kommentar zur Ausstelllung aus der Rhein-Neckar-Zeitung vom 5.12.2017 schließt daran an und soll diese Aufstellung. Der Autor stellt die Blüte der Kunst einer von Anfang bis Ende “unter Druck” stehenden Republik gegenüber, vor allem durch die materiellen Probleme im Kontinuum zwischen der Inflation und Weltwirtschaftskrise: “1923 kostete ein Laib Brot 10,37 Millionen Mark. Der Zerfall der zivilen Gesellschaft beschleunigte sich, die Arbeitslosenzahlen stiegen täglich, und die Weltwirtschaftskrise 1929 übertraf noch die schlimmsten Erwartungen.” Auch hier wieder eine pauschale, den Klischee entsprechende Bewertung wider alle Fakten: zwischen 1923 und 1929 stiegen die Arbeitslosenzahlen keineswegs täglich.
Stefan Braune: Chancen und Errungenschaften der Weimarer Republik (Katalog, S. 258) Dem allen widerspricht der letzte Beitrag im Katalog von Stefan Braune, der sozusagen gegen den Strom steht: “Lange ist daher die Weimarer Republik durch die Brille dieses Scheiterns beurteilt worden. So entstand der Eindruck, innere und äußere Belastungen und verschiedene Konstruktionsfehler hätten die Republik von Anfang an zum Scheitern verurteilt. [...] Angesichts der Herausforderungen und Gefährdungen, die die Weimarer Republik schon bei ihrer Gründung und über die vierzehn Jahre ihres Bestehens begleiteten, erscheint es eher als ein Ausweis ihrer Festigkeit und Wehrhaftigkeit, dass sie so lange existierte.”
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