Ausstellung im Haus der Geschichte in Bonn 16.3.-14.10.2018:
Deutsche Mythen seit 1945
Eine außergewöhnliche und beeindruckende Ausstellung
Bericht von der Eröffnungsveranstaltung, Highlights der Ausstellung - Eindrücke und Reflexionen.
Wolfgang Geiger
Ausstellungseröffnung 15.3.2018
Prof. Dr. Hans Walter Hütter, Präsident der Stifung Haus der Geschihte der Bundesrepublik Deutschland, eröffnete die Veranstaltung mit einer Vorstellung der Konzeption der Ausstellung Deutsche Mythen seit 1945 über eine Definition des Begriffes Mythos.
Ein Mythos ist nicht einfach nur eine Legende, sondern enthält auch einen Kern Wahrheit, er ist eine identitätsstiftende Erzählung. Mythen rekonstruieren die Vergangenheit nach den Bedürfnissen der Gegenwart und sind Angebote für nationale Erinnerung. Moderne Mythen werden durch Medien gemacht und die Verbindung zwischen beiden ist konstitutiv, erklärter Hütter. Darauf ging dann der zweite Redner der Veranstaltung, Christoph Schwennicke, intensiver ein.
Als Beispiel für einen westdeutschen Mythos nach 1945 nannte Hütter die “Trümmerfrauen”. Unbeschadet der tatsächlichen Leistungen der Frauen in der Nachkriegszeit, müsse man erkennen, dass der Mythos ihren Anteil an der Trümmerbeseitigung übersteigert habe, da die allermeisten Trümmer mit purer Menschenhand gar nicht beseitigt werden konnten, sondern Baumaschinen dafür notwendig waren. Der Mythos entstand in den 1980er Jahren im Rahmen einer Debatte zur Rentenreform und hat sich seither tief im öffentlichen Bewusstsein verankert.
Auf einen anderen Mythos machte Hütter ebenfalls aufmerksam mit Hinweis auf den nächsten Eröffnungsredner, Christoph Schwennicke hatte nämlich 2007 als Berliner Büroleiter der Süddeutschen Zeitung einen Ar tikel über die 68er Bewegung in die SZ bringen wollen, der dann von der Redaktion allerdings abgelehnt wurde. Er erschien dann in Cicero, dessen Chefredakteur er 2012 wurde. In seinem Artikel, erklärte Hütter, habe Schwennicke die Selbstinszenierung der 68er als Schaffung eines Mythos analysiert.
Der Artikel ist Teil des Cicero-Themenheftes vom Juni 1967 Die 68 - Der Muff von 50 Jahren, das zunächst mit 14 Beiträgen zu einer Debatte einlud, die online fortgesetzt wurde. Dass es einen 68er-Mythos gibt, dürftte wohl kaum zu bestreiten sein, schon der Begriff selbst ist einer. Allerdings kann man sich hierzu auch fragen, ab wann ein Mythos auch durch seine Kritiker verstärkt, überhöht oder sogar erschaffen werden kann, als Mythos vom Mythos.
Christoph Schwennicke, Chefredakteur von Cicero - Magazin für politische Kultur, hob auch noch einmal hervor, dass Medien und Mythen kausal zusammenhängen, und warf dabei einen kritischen Blick auf die ambivalente Rolle der Journalisten als “Schleusenwärter der öffentlichen Meinung”. Er zitierte den berühmt gewordenen Ausspruch des früheren FAZ- Mitherausgebers Paul Sethe (gest. 1967): “Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.” Oder Edward Bernays’ 1928 veröffentlichtes Buch Propaganda - Die Kunst der Public Relations, mit dem wohl der Propaganda-Begriff damals in die Diskussion kam, so gehörte das Buch auch nachweislich zu Goebbels präferierter Lektüre.
In Zeiten der “Lügenpresse”-Propaganda erscheint das sehr aktuell, betonten beide Redner, allerdings gibt es zu dem bisherigen “Oligopol” der Medien auch gar keine Alternative, es sei denn das Netz mit seinen Verschwörungstheorien und Echo-Kammern. Abschließend betonte Schwennicke deswegen auch die Internet-Revolution als “Hiroshima des Medienzeitalters”, als “nachhaltige Veränderung bis Zerstörung der bisherigen Medienlandschaft”.
Zuvor ging er deswegen auf die Notwendigkeit des “Oligopols” als “Herrschaft über den öffentlichen Diskurs” ein, eine Instanz, deren Notwendigkeit verkannt werde. Aufgabe der Medien ist die Verdichtung, Reduktion von Komplexität. Die öffentliche Meinung bilde sich nach Habermas durch einen Konsens über die Reduktion von Komplexität, doch dies ist gleichzeitig auch die Voraussetzung des Mythos. Der Mythos ist “Verdichtung und Erdichtung” zugleich, er enthält Wahrheit, doch der Übergang zur Legende ist fließend, er ist eine “Erzählung, die durch ständige Wiederholung wahr werden soll.” In einer Mischung aus Anerkennung und Kritk erwähnte Schwennicke dann auch die 68er mit ihrem “Mythos-Marketing in eigener Sache”.
Im Rückblick auf die Geschichte stellt sich auch die Frage, ob die Geschichtsschreibung zwangsläufig die Geschichte in der eigenen Wahrnehmung verzerrt, “manche Muster werden erst im Rückspiegel erkennbar”, erklärte Schwennicke. Es gehe um gemeinsame Deutungen und Narrative, aus dieser notwendigen Reduktion von Komplexität entstehen dann auch Mythen.
Trotz der Kritik des Mythos, die Thema der Ausstellung ist, sah Schwennicke absjließend dem Verschwinden des Mythos durch die Internet-Revolution und die Krise der klassischen Medien fast nostalgisch hinterher. So gebe es zum Beispiel keinen Europa-Mythos, der für die Akzeptanz Europas heute so wichtig wäre. Auch habe die Verweigerung der Intellektuellen, die deutsche Einigung bewusst positiv zu begleiten, dieses Thema der Boulevard-Presse überlassen.
Das Buch zur Ausstellung ist leider kein Ausstellungskatalog mehr, wie es ihn früher gab. Dem allgemeinen Trend bzw. Zwang zur preislichen Reduzierung folgend, damit mehr Exemplare verkauft werden, ist es ein schlankes Buch mit guten Analysen zu den einzelnen Themen sowie grundsätzlich zum Thema Mythos, die relative Spärlichkeit der abgedruckten Dokumente und Bilder enttäuscht aber leider trotzdem.
Highlights der Ausstellung und ergänzende Reflexionen zum Thema
Erst im Gedächtnis formt sich die Wirklichkeit ist ein Motto der Ausstellung, ein berühmter Satz des französischen Schriftstellers Marcel Proust vom Ende seines Romanzyklus Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Das Motto wurde schon vielfach von Museen, Ausstellungen und in der Geschichtsschreibung aufgegriffen, so in Deutsche Erinnerungsorte von Etienne François und Hagen Schulze, und François hat dies noch einmal zitiert in einem Beitrag für die Welt zur ständigen Ausstellung im Berliner Zeughaus Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen.
Gleich nach diesem Auftakt kommt man in die den größten Teil der Ausstellung strukturierende systematische Gegenüberstellung der Mythen West und Mythen Ost im gespaltenen “Gedächtnis der Nation”. Dies beginnt recht beeindruckend mit dem tatsächlich fast totalen Gegensatz zwischen dem Trümmer-Mythos West und dem Befreiungs-Mythos Ost.
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