Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber lehrt seit 2004 an der Hochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung in Brühl am Rhein und ist Lehrbeauftragter an der Universität Bonn. Zuvor war er zehn Jahre lang Referatsleiter in der Abteilung Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz. Er ist auch Mitglied des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Bundestages.
Herr Pfahl-Traughber hat sich in nahezu wörtlich unzähligen Publikationen mit der Geschichte und Gegenwart des Rechtsextremismus und Extremismus überhaupt befasst, beginnend mit seiner Doktorarbeit bei Julius Schoeps über den “antisemitisch-antifreimaurerischen Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat” 1992. Eine Verbindung zwischen alt und neu hat er erstmalig 1998 in seinem Buch Konservative Revolution und Neue Rechte hergestellt.
Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber: Antisemitische Verschwörungsideologien im Kaiserreich und in der Weimarer Republik
Hier folgt das Handout von der Veranstaltung
Armin Pfahl-Traughber
Prof. Dr. phil. Armin Pfahl-Traughber, Politikwissenschaftler und Soziologe, ist hauptamtlich Lehrender an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl und gibt ebendort das „Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung“ heraus.
Antisemitische Verschwörungsideologien im Kaiserreich und in der Weimarer Republik
Entwicklung und Ursachen - Thesen zum Vortrag am 26. März 2022
1. Die Bezeichnung „antisemitische Verschwörungsideologien“ steht hier für judenfeindlich motivierte Auffassungen über die Existenz konspirativer Machenschaften von Juden, wobei dafür keine Belege angeführt werden und innere Widersprüche bestehen.
2. Eine systematisch entwickelte antisemische Verschwörungsideologie kam in Deutschland erst Ende des Ersten Weltkriegs auf und fand dann in den folgenden gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen große soziale Verbreitung.
3. Die damit angesprochene Akzeptanz erklärt sich auch dadurch, dass einschlägige Auffassungen in der jahrhundertelangen Judenfeindschaft seit dem Mittelalter angelegt waren: „Brunnenvergifter“-, „Ritualmord“- und „Teufels“-Vorwürfe.
4. Die antisemitische und völkische Bewegung, die ab den 1870er Jahren entstand, war zwar judenfeindlich ausgerichtet, aber primär an einem sozioökonomischen oder rassistischen Antisemitismus mit nur unterschwelligen Verschwörungsvorstellungen orientiert.
5. Gleichwohl bot die Agitation dieser Bewegung(en) inhaltliche Anschlussstellen und schürte Stimmungen, die später in gesonderten judenfeindlichen Konspirationsbehauptungen münden und einschlägige Wirkungen entfalten konnten.
6. Als deren organisatorische Akteure können Gruppierungen wie der „Reichshammerbund“ oder der „Verein gegen Überhebung des Judentums“ gelten, welche nicht zufällig auch als Herausgeber der gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ wirkten.
7. Insbesondere dieses angebliche „Kronzeugendokument“ für eine „jüdische Weltverschwörung“ forcierte die Verbreitung einschlägiger Verschwörungsvorstellungen, wogegen auch der Beleg des Plagiatcharakters für diese Schrift nicht wirkte.
8. Die große Akzeptanz für antisemitische Konspirationsvorstellungen ergibt sich neben der latenten Prägung der Gesellschaft durch einschlägige Stereotype durch deren Nutzen als (falsches) Erkenntnisinstrument für eine mehrdimensionale Umbruchsituation.
9. Innerhalb von elitären rechtsextremistischen Organisationen wurde der Antisemitismus allgemein wie die antisemitische Verschwörungsvorstellung als „Blitzableiter“ („Alldeutscher Verband“) gesehen, womit negative Emotionen gegen die Juden gerichtet wurden.
10. Dafür gründete man auch antisemitisch-völkische Massenorganisationen wie den „Deutsch-völkischen Schutz- und Trutzbund“, der mit großem Ausmaß einschlägige Hetze betrieb, welche mit zur Ermordung von Walter Rathenau führte.
11. Insofern kam derartigen Auffassungen auch eine ablenkende Manipulationsfunktion zu, sollte damit doch insbesondere die untere Mittelschicht gegen die Republik als damaligen demokratischen Verfassungsstaat mental und politisch mobilisiert werden.
12. Die einschlägige Begriffswahl für alle Formen der kulturellen und politischen Moderne macht dies deutlich (auch in dem Bestseller „Der internationale Jude“ von Henry Ford): „Judenparlament“, „Judenrepublik“, „Judenstaat“ etc.
13. Auch in der frühen NSDAP fanden antisemitische Verschwörungsvorstellungen große Verbreitung, wovon Aussagen von Hitler in „Mein Kampf“ und in öffentlichen Reden oder die diversen Publikationen von Alfred Rosenberg als damals wichtiger Stimme zeugen.
14. Ab Mitte der 1920er Jahre lässt sich ein gewisser Rückgang einschlägiger Agitation und Publikationen konstatieren, handelte es sich doch um eine Ära der Stabilität, wo Konspirationsvorstellung meist keine so große Verbreitung mehr finden.
15. Indessen lebte die einschlägige Agitation ab 1927/28 (etwa durch Erich Ludendorff) wieder auf und diente der extremistischen Rechten in der dann folgenden Umbruchphase wieder zur Agitation, aber nicht im gleichen Ausmaß wie zwischen 1918 und 1924.
16. Die Akzeptanz derartiger Konspirationsauffassung erklärt sich durch ihre Funktionen für Erkenntnis und den Nutzen für Organisationen, wobei es dafür affirmative latente Einstellungen gab, welche bis in die Gegenwart hinein präsent sind.
Quellen zum Vortrag
1. „Alldeutscher Verband“: Instrumentalisierung der Judenfeindschaft: Für den bewussten Einsatz des Antisemitismus plädierte der Stellvertretende Vorsitzende des „Alldeutschen Verbandes“ Constantin Freiherr von Gebsattel, forderte er doch „die Lage zu Fanfaren gegen das Judentum und die Juden als Blitzableiter für alles Unrecht zu benutzen.“ In diesem Zusammenhang äußerte der Vorsitzende Heinrich Claß: „Ich bin ganz damit einverstanden, daß wie bereits vorgeschlagen, die Judenfrage nicht nur wissenschaftlich-politisch, sondern auch praktisch-demagogisch behandelt wird.“ Und weiter: „Ich werde von keinem Mittel zurückschrecken und mich in dieser Hinsicht an den Ausspruch Henrich von Kleists, der auf die Franzosen gemünzt war, halten: Schlag sie tot, das Weltgericht fragt euch nach Gründen nicht!“. (Protokoll des Geschäftsführenden Ausschusses des „Alldeutschen Verbandes“ zu seiner Sitzung am 19. und 20.10. 1918 in Berlin: Zentrales Staatsarchiv, Potsdam, ADV 121)
2. „Auf Vorposten“: Inhalt der antisemitischen Verschwörungsideologie: Die Publikation beleuchte „von hoher Warte aus die Wege, auf welchen die Geheimbünde der Freimaurer und Juden unter der Führung des Großkapitals die Weltherrschaft erzwingen wollen. Jeder Deutsche müsste sich über den Anteil dieser Geheimbünde an der Vorbereitung zum Weltkriege, an der Verhetzung der Kulturvölker, an den Umwälzungen in Europa und an den Greueltaten der Bolschewisten, Kommunisten und Spartakisten unterrichten.“ (Anzeige abgedruckt in: Ludwig Müller von Hausen, Die Hohenzollern und die Freimaurerei, Charlottenburg 1924, S. 47)
3. Alfred Rosenberg: Erkenntnisfunktion der Verschwörungsideologie: „Das Erscheinen der sogenannten ‚Protokolle der Weisen von Zion‘ hat Millionen von Europäern die Schleier von den Augen gerissen. … Millionen fanden in ihren plötzlich die Deutung vieler sonst unerklärlicher Erscheinungen der Gegenwart, die in ihren wichtigsten Anzeichen plötzlich nicht mehr als Zufälligkeiten wirkten, sondern als Folgen einer früher geheimen, nunmehr aufgedeckten Zusammenarbeit der Führer scheinbar sich erbittert bekämpfender Klassen, Parteien, Völker.“ (Alfred Rosenberg, Die Protokolle der Weisen von Zion und die jüdische Weltpolitik (1923), München 1933,S. 7)
4. Adolf Hitler: Feindbildkonstruktion: „Es gehört zur Genialität eines großen Führers, selbst auseinanderliegende Gegner immer als nur zu einer Kategorie gehörend erscheinen zu lassen, weil die Erkenntnis verschiedener Feinde bei schlichten und unsicheren Charakteren nur zu leicht zum Anfang des Zweifels am eigenen Recht führt. … Dabei muss eine Vielzahl von innerlich verschiedenen Gegnern immer zusammengefasst werden, so dass in der Einsicht der Masse der eigenen Anhänger der Kampf nur gegen einen Feind allein geführt wird.“ (Adolf Hitler, Mein Kampf (1923), München 1944, S. 129)
5. Adolf Hitler, Ankündigung der Judenvernichtung mit verschwörungsideologischem Verweis: „Ich will heute wieder ein Prophet sein. Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“ (Adolf Hitler, Reichstagsrede vom 30. Januar 1939, in: Max Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945, kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen, Band II. Untergang (1939-1945), Würzburg 1963, S.1058)
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